September 2007

Zöliakie - eine Nahrungsmittelunverträglichkeit

Zöliakie ist eine häufig unentdeckte lebenslange Nahrungsmittelunverträglichkeit.

 

Ein Kinderleben ohne Spagetti mit Tomatensauce, Butterbrot oder Pudding? Ein Erwachsenendasein ohne Schnitzel, Spätzle, Bratensoße oder Bier? Für viele von uns ganz und gar unvorstellbar. Leider nicht für alle: Wie man heute weiß, entwickelt hier zu Lande jeder Hundertste im Laufe des Lebens eine spezielle Nahrungsmittelunverträglichkeit, Zöliakie (oder auch Sprue) genannt - das sind rund 2,5 Millionen EU-Bürger!

Europäische Kinder- und Jugendärzte planen deshalb jetzt eine große internationale Studie zur Erforschung der belastenden Störung. Dabei sollen rund tausend Babys untersucht werden, aus Familien, die mit einem genetischen Risiko für Zöliakie belastet sind. Bei Verwandten ersten Grades ist die Gefahr, an Zöliakie zu erkranken, deutlich erhöht und beträgt 5 bis 10 Prozent.

Das Hauptziel der nach strengen wissenschaftlichen Kriterien aufgebauten Studie ist es, herauszufinden, ob es möglich ist, mit speziellen präventiven Ernährungsmaßnahmen in der frühen Kindheit die Entstehung der Krankheit zu verhindern.

 

 

Zöliakie - was ist das überhaupt?

„Bei der Zöliakie handelt es sich um eine lebenslange Unverträglichkeit gegen das Getreideeiweiß Gluten“, erläutert Professor Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselspezialist der Universitätskinderklinik

München und Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. „Dieser Eiweißkörper findet sich in vielen Getreiden, vor allem in Weizen - einschließlich Dinkel, Grünkern, Einkorn, Emmer und Kamut. Gluten gibt es aber auch in Roggen und Gerste und ein ähnliches Eiweiß in Hafer. Gluten wird als Klebereiweiß bezeichnet, weil es für den Zusammenhalt des Teigs in Nudeln, Brot und anderen Backwaren sorgt“.

 

Die erste Beschreibung der Krankheit ist bereits rund 120 Jahre alt. Dennoch wird das Leiden auch heute noch zu selten und häufig zu spät erkannt. „Früher hielt man die Zöliakie für eine Kinderkrankheit,

weil ihre ersten Symptome oft bei Säuglingen auftraten, wenn sie von der Muttermilch auf Breie und feste Nahrung umgestellt worden sind. Heute wissen wir, dass diese Autoimmunerkrankung bei Personen mit einer genetischen Veranlagung praktisch in jedem Lebensalter auftreten kann.

Wegen der Vielfalt der Symptome wird sie jedoch oft verkannt. Viele Betroffene haben einen langen Leidensweg hinter sich, bis endlich die richtige Diagnose gestellt wird“.

 

 

Klassische Alarmzeichen bei Kindern

Bei der klassischen Form der Zöliakie treten die ersten Anzeichen oft schon im frühen Kindesalter auf, wenn nach der alleinigen Milchnahrung Beikost mit glutenhaltigen Getreiden eingeführt wird, wie z. B. ein Getreidebrei mit Weizenflocken oder ein Baby-Zwieback. Den betroffenen Kindern geht es nicht gut, sie können vermehrt schreien, erbrechen, weiche Stühle oder Durchfall und Blähungen entwickeln und nehmen schlecht an Gewicht zu.

Oft hat ein betroffenes Kind einen massigen und übel riechenden Stuhlgang, wirkt schwach, blass und müde. Der Bauch sieht aufgetrieben und gebläht aus. Das Kind entwickelt ein auffallend verdrießliches, missmutiges und reizbares Gehabe.

 

Professor Koletzko: „Bei solchen klassischen Symptomen steht die Diagnose des Kinder- und Jugendarztes meist sehr schnell fest. Häufiger manifestiert sich heute die Zöliakie aber mit milden Beschwerden, so dass sie oft nicht oder erst spät erkannt wird“.

 

Zöliakie mit wenigen Symptomen

Die meisten von einer Zöliakie betroffenen Kinder und Erwachsenen zeigen heute nicht die oben beschriebenen klassischen Symptome, sondern leiden unter vielfältigen Beschwerden, die einzeln oder in Kombination auftreten können. Dazu gehören z. B. wiederkehrende Bauchschmerzen, niedriges Längenwachstum, Konzentrations- und Leistungsschwäche, aber auch neurologische Symptome. Da diese Beschwerden uncharakteristisch sind, dauert es oft lange, bis ein Bluttest durchgeführt wird, der zur Diagnose einer Zöliakie führt.

 

 

Unbehandelt drohen schwere Folgen

Gluten schädigt die Schleimhaut des Dünndarms. Durch das Verkümmern der Darmzotten wird die Aufnahme der Nährstoffe erschwert. Die möglichen Folgen sind Entwicklungsstörungen und Wachstumsrückstand, Blutarmut und Knochenschwäche.

Auch psychische Erkrankungen sind möglich und das Risiko für Darmkrebs ist erhöht. Bei etwa fünf Prozent der Patienten entwickeln sich zusätzliche Autoimmunerkrankungen wie z.B. Diabetes oder Schilddrüsenstörungen. Frauen mit einer unbehandelten Zöliakie sind oft in ihrer Fruchtbarkeit eingeschränkt und erleiden häufiger eine Fehlgeburt.

 

Diagnose aus dem Darm

Bei Verdacht auf Zöliakie kann der Arzt das Blut auf das Vorhandensein spezifischer Antikörper untersuchen. Sind die Werte erhöht, muss die Diagnose mit einer Gewebeentnahme (Biopsie) aus der Darmschleimhaut abgesichert werden.

 

 

Die Behandlung - eine lebenslange Diät!

Gegen die Krankheit hilft nur eine lebenslange, strenge Diät, bei der jegliches Getreide und alle Mehlprodukte weggelassen werden müssen. Eltern müssen deshalb den Speiseplan eines Zöliakie kranken Kindes drastisch zusammenkürzen. Viele Suppen oder Sahnesaucen sind mit Mehl gebunden – verboten. Eis ist zwar erlaubt, aber ohne Waffel. Salat erlaubt, aber ohne Croutons. Schnitzel oder Fischstäbchen sind gänzlich tabu – ihre Panade enthält Mehl. Erlaubt sind nur Reis-, Mais- und Johannisbrotkern-Mehle.

 

„Das ist freilich leichter gesagt als getan“, gibt Professor Koletzko zu bedenken. „Es gibt nämlich eine ganze Reihe von Lebensmitteln, bei denen dem Normalverbraucher der Mehlzusatz gar nicht bekannt ist: zum Beispiel Fleischkäse, Ketchup, Lakritz oder manche Sorten von Reisnudeln. Wer weiß schon, dass Sojasoße Weizen enthält?

Sogar das Maisprodukt Cornflakes enthält fast immer Gluten aus Gerstenmalz. Selbst bei Weichkäse oder Wurstwaren findet man manchmal im Kleingedruckten den unter „Weitere Zutaten“ versteckten Hinweis auf Weizenmehl. Gluten bindet nämlich Fett und Wasser und wird von vielen Herstellern als Bindungsmittel und Träger von Aromen verwendet“.

 

 

Erst lesen - dann genießen

Ist bei einem Kind oder Erwachsenen Zöliakie diagnostiziert worden, braucht man beim Einkaufen nicht nur reichlich Geduld, sondern auch viel Geld. Das Leben ohne Gluten belastet nämlich nicht nur die Freude am Essen, sondern auch die Finanzen: Die notwendigen Mehrausgaben für glutenfreie Lebensmittel belaufen sich im Jahr auf 1.200 bis 1.500 Euro!

 

Seit 2005 müssen verpackte Lebensmittel in ihrer Zutatenliste auch glutenhaltige Getreide und reines Gluten kennzeichnen. Das Einkaufen ist dadurch nicht unbedingt leichter geworden, stellt die selbst von Zöliakie betroffene Diätassistentin Andrea Hiller fest. In ihrem soeben erschienenen empfehlenswerten Buch „Zöliakie: Mehr Wissen - besser verstehen“ (Trias Verlag 2006, e 19,95) beklagt sie: „Die Zutatenlisten sind um einiges länger geworden und häufig in extrem kleiner Schrift gedruckt. Das Entziffern ist langwierig und mühsam, der Einkauf ist viel zeitaufwendiger als zuvor“. Überdies werden importierte Lebensmittel aus Ländern, die nicht der EU angehören, weiterhin oft unklar deklariert.

 

Die Kennzeichnungspflicht gilt zudem nur für verpackte Lebensmittel. Für lose abgegebene Waren wie Wurst oder Eiscreme, Kita-Verpflegung oder Kantinenessen gibt es keine Verordnungen. Andrea Hiller: „Hilfreich zur Auswahl sind die ausführlichen Listen der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft (DZG). Hier werden Produkte, die der Hersteller auf Nachfrage als glutenfrei genannt hat, mit genauer Bezeichnung aufgeführt. Es gibt Listen für Lebensmittel, aber auch für Arzneimittel, Nahrungsergänzungsmittel und Zahn- und Körperpflegeprodukte“. Glutenfreie Lebensmittel werden oft im Direktversand von den Herstellern und in Reformhäusern angeboten.

 

 

Kann man einer Zöliakie vorbeugen?

Gestillte Babys erkranken seltener an Zöliakie als Flaschenkinder. Seit kurzem gibt es weitere Erkenntnisse, die präventiv genutzt werden können: Babys profitieren offenbar auch dann noch von der Muttermilch, wenn sie bereits mit glutenhaltiger Nahrung gefüttert werden. Professor Berthold Koletzko präzisiert: „Offenbar spielt es eine wichtige Rolle, wann ein Baby das erste Mal mit einem glutenhaltigen Nahrungsmittel in Kontakt kommt. Bekommt das Kind seinen ersten Getreidebrei zu einem Zeitpunkt, wenn es noch gestillt wird, ist das Risiko für eine Zöliakie deutlich verringert. Das geringste Risiko haben Babys, die erst nach dem vollendeten vierten Monat und zunächst in kleinen Mengen Gluten bekommen, und die auch nach der Gluten-Einführung weiter gestillt werden. Diese Chance einer effektiven Prävention durch den richtigen Zeitpunkt der Beikosteinführung wird jetzt auch in einer von der Europäischen Kommission unterstützten Langzeitstudie untersucht.“

 

Ratgeber und Rezepte:

Dr. Bettina Pabel: „Natürlich glutenfrei“, Pala Verlag 2005, € 14,00

Andrea Hiller: „Köstlich Essen bei Zöliakie“, Trias Verlag 2005, € 19,95

 

Mehr Infos und praktische Tipps:

Deutsche Zöliakie-Gesellschaft,

Filderhauptstr. 61, 70599 Stuttgart,

Telefon 0711/459 98 10,

Fax 0711/459 98 50.

E-Mail: info@dzg-online.de

www.dzg-online.de