Juni 2009

Die Kleinsten leben am gefährlichsten

Die Stiftung Kindergesundheit gibt Tipps zur Verhütung von Unfällen in den eigenen vier Wänden.

Es ist eigentlich paradox: Ausgerechnet dort, wo sie sich am sichersten fühlen, in der Geborgenheit der behaglichen Wohnung, in der vertrauten, schützenden Nähe der Eltern werden besonders viele Kinder Opfer eines Unfalls. Die meisten Unfälle von kleinen Kindern ereignen sich in den eigenen vier Wänden, beklagt die Stiftung Kindergesundheit. Jedes Jahr sterben über hundert Kinder in Deutschland, weil ihr Zuhause nicht sicher genug gewesen ist.

Babys und kleine Kinder sind praktisch ununterbrochen auf Entdeckungsreise. Für sie ist alles neu und aufregend. Sie müssen alles anfassen, heranziehen, kosten. Dieser wunderbare Eroberungsgeist hat leider auch einen gefährlichen Nachteil: Das Kind weiß noch nicht, was von den aufregenden Dingen seiner Umwelt ihm unzuträglich und gefährlich ist. Davon aber gibt es leider genug, sagt Hildegard Debertin, Generalsekretärin der in München beheimateten Stiftung Kindergesundheit: „Viele selbstverständliche Bestandteile des täglichen Lebens können für neugierige Kinder zu lebensgefährlichen Fallen werden. Deshalb müssen Eltern Gefahren im Kinderhaushalt erkennen und beseitigen, um Unfallrisiken vorzubeugen“.

Manche Unfälle sind trotz aller Vorsicht nicht zu vermeiden. Die Mehrzahl ereignet sich jedoch keineswegs aus heiterem Himmel, betont Hildegard Debertin: „Oft ist die Chance groß, Risiken vorzubeugen. Eltern müssen für das Kind voraus denken, damit es gar nicht in eine gefährliche Situation gerät. Wenn Eltern die häufigsten Unfallgefahren in den verschiedenen Altersstufen kennen, können sie ihre Kinder vor vielen Risiken bewahren“.

Die Stiftung Kindergesundheit nennt dazu wichtige Beispiele:

 

Bis zum ersten Geburtstag

ist die Gefahr des Erstickens besonders groß. Knapp ein Drittel aller tödlichen Erstickungsunfälle betrifft Babys in diesem Alter. Im Babybettchen sollte man auf Kopfkissen und schweres Bettzeug verzichten.

Schnüre, Bänder und Schlaufen und auch an Bändern aufgehängtes Spielzeug haben in einem Babybett nichts zu suchen. Auch von einem modischen Bernsteinkettchen, das angeblich das Zahnen erleichtert, sollte man lieber die Finger lassen.

Ebenfalls wichtig: Schnuller dürfen nicht mit einer Schnur am Hals befestigt werden. Auch von unachtsam herumliegenden Plastiktüten droht Gefahr. Eine häufige Erstickungsursache sind ferner kleine Gegenstände, wie Perlen, Murmeln, Plastikteile, insbesondere aber Erdnüsse, die in die Luftröhre des Kindes geraten können.

 

Mit dem Laufen lernen

wächst die Gefahr von Stürzen. Es gibt schmerzhafte Kopfverletzungen durch Stürze gegen Heizkörper, Türen oder Mauern. Es empfiehlt sich deshalb dringend, die Heizkörper in Zimmern, in denen sich Kinder aufhalten, zu verkleiden. In Kinderhaushalten sollte man wenn möglich auf Glastüren verzichten oder diese absichern. Gefährliche Treppenstürze lassen sich mit Hilfe von verstellbaren Holz- oder Kunststoffgittern vermeiden.

Besonders gefährlich sind so genannte Lauflerngeräte auf Rädern. Sie heißen „Gehfrei“ oder „Babywalker“ und verheißen Spaß fürs Baby und Vorteile für seine Entwicklung. „Glauben Sie das bitte nicht!“, warnt Hildegard Debertin. „Die putzigen Rollstühlchen, in denen sich schon junge Babys halb sitzend, halb stehend fortbewegen, behindern in Wirklichkeit ihre Entwicklung: Ihr Körper wird zu früh und einseitig belastet“.

Noch schlimmer ist jedoch das Unfall-Risiko, das von den unnützen Geräten ausgeht: Nach einer Erhebung von Kinder- und Jugendärzten gehen in Deutschland mindestens 6 000 schwere Unfälle pro Jahr auf das Konto der rollenden Gestelle. Am häufigsten sind Treppenstürze mit lebensgefährlichen Folgen. Gefahr droht aber auch, wenn das Gerät am Teppichrand oder an einem Möbelstück plötzlich stoppt und kippt. In vielen Fällen werden Schädel-Hirn-Verletzungen registriert. Es kann aber auch zu Verbrennungen und Verbrühungen kommen: Mit den Lauflernhilfen können sich die Kinder wieselflink durch die Wohnung bewegen und blitzschnell heiße Töpfe oder Pfannen von Tisch und Herd reißen. Aus gutem Grund sind derartige Geräte in Skandinavien und in Kanada längst vom Gesetzgeber verboten.

 

Vom zweiten Lebensjahr an

wächst auch die Gefahr durch Ertrinken. Mehr als die Hälfte aller tödlichen Ertrinkungsunfälle betrifft Kleinkinder zwischen einem und vier Jahren! Auch wenn man sich das kaum vorstellen kann: Kleine Kinder können in jeder Art von Wasser, selbst im seichtesten, ertrinken - in einer Regentonne genauso wie in einem flachen Zierteich, in der Badewanne genauso wie im Swimmingpool oder sogar in der Regenpfütze, die sich auf der Abdeckung des Swimmingpools bildet. Auch aufblasbare Plantschbecken sind mit diesem Risiko behaftet.

 

Im Vorschulalter

haben viele Kinder bereits ein eigenes Fahrrad, nach Ansicht der Stiftung Kindergesundheit viel zu früh. In diesem Alter sollten Kinder noch nicht am Straßenverkehr teilnehmen. Später ist das Tragen von Schutzhelmen dringend zu empfehlen. Durch Helme können rund 70 Prozent der tödlichen Fahrradunfälle vermieden werden.

Ebenfalls im Vorschulalter steigt die Zahl der Unfälle mit Tieren. Am häufigsten werden Kinder beim Laufen und Radfahren von Hunden gebissen. Die Eltern sollten ihren Kindern deshalb frühzeitig beibringen, wie man sich bei der Begegnung mit einem fremden Tier richtig verhält, und vor allem, dass Tiere kein Spielzeug sind, sondern eigenwillige, oft unberechenbare Lebewesen.

 

Kinder nicht in Watte packen!

Die Stiftung Kindergesundheit räumt ein: Auch in Zukunft wird es nicht möglich sein, alle schwierigen Situationen vorherzusehen, in die ein Kind bei der Eroberung seiner Umwelt geraten kann. Hildegard Debertin: „Man sollte Kinder trotzdem nicht aus Ängstlichkeit in Watte packen, sie gewissermaßen unter eine Käseglocke stellen und dadurch in ihrem natürlichen Bewegungs- und Entdeckungsdrang bremsen. Bei zu viel Behütung kann das Kind nämlich nie lernen, mit Gefahren vernünftig umzugehen. Besser ist es, das Kind liebevoll mit den alterstypischen Gefahren im Alltag vertraut zu machen“.

Die Generalsekretärin der Münchner Stiftung Kindergesundheit, selbst Mutter einer Tochter, fügt hinzu: „Alle Sicherheitsmaßnahmen sind nur die Hälfte wert, wenn sie von den Eltern selbst nicht beachtet werden. Die wichtigste Rolle in der Sicherheitserziehung eines Kindes spielt nämlich das gute Vorbild der Mütter und Väter“. Deshalb komme den Eltern eine besonders große Verantwortung zu. Sie müssen gleichzeitig versuchen, eine den Bedürfnissen ihres Kindes gerecht werdende Umgebung zu schaffen, um seine Entwicklung zu fördern, aus dieser Umgebung jedoch Unfallgefahren möglichst zu verbannen.

 

 

Kindersicherheitstag am 10. Juni 2009

Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG)

„Mehr Sicherheit für Kinder“ (Bonn) verunglücken in Deutschland jedes Jahr rund 1,7 Millionen Kinder, fast 300 000 von ihnen im Heim- und Freizeitbereich. Der nationale Kindersicherheitstag, den die BAG jedes Jahr ausrichtet, findet seit 2000 immer am 10. Juni statt. In diesem Jahr wird der Kindersicherheitstag gemeinsam mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) durchgeführt und trägt den Slogan „Sicher aufwachsen. Kinder vor Vergiftungen schützen!“. Ausführliche Informationen zur Unfallverhütung bei Kindern bietet die BAG unter www.kindersicherheit.de