Dezember 2008

Warum Spielen für Kinder lebensnotwendig ist - und was sie dazu wirklich brauchen

Ein Wegweiser der Stiftung Kindergesundheit durch das Labyrinth des verwirrenden Geschenkangebots

Ein Blick in eine Spielwarenabteilung genügt: Noch nie gab es ein derart riesiges Angebot an Spielzeug wie heute. Angesichts der Spielzeugberge in den Regalen sind viele Eltern verunsichert: Welches Spielzeug ist wirklich empfehlenswert? Und wie viel Spielzeug braucht mein Kind überhaupt? Die in München beheimatete Stiftung Kindergesundheit hat für die letzten Tage des weihnachtlichen Einkaufsmarathons nützliche Tipps dazu zusammengestellt.

 

„Spielen ist für Kinder eine wichtige Voraussetzung für die geistige und seelische Entwicklung“, sagt Kinder- und Jugendarzt Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der in München beheimateten Stiftung Kindergesundheit. „Spielen ist für Kinder mehr als nur ein Zeitvertreib. Beim Spielen lernen sie, ihre Umwelt zu verstehen. Sie vergrößern ihr Wissen, üben ihre Geschicklichkeit, entfalten ihre körperlichen Kräfte und trainieren ihre Phantasie. Deshalb sollten Eltern wählerisch sein, wenn es um den Kauf von Spielzeug geht. Die richtige Grundausrüstung ist dabei wichtiger als immer neue, technisch und elektronisch aufgemotzte Attraktionen“.

 

Vieles davon, was heute als Spielzeug angeboten wird, ist im Sinne des Kindes gar kein Spielzeug mehr, beklagt die Stiftung Kindergesundheit. Perfektioniertes, automatisches, fix und fertig angebotenes Spielzeug kann den Betätigungsdrang des Kindes nicht ausreichend erfüllen. Auch die Phantasie kann es kaum anregen. Kinder brauchen Spielzeug, an dem sie, entsprechend der Welt der Erwachsenen, die Grundfähigkeiten trainieren können. Automatisches Spielzeug ist dazu meist völlig ungeeignet.

Die meisten Kinder haben heute viel zu viel Spielzeug, betont Professor Koletzko. Puppen, die sie nur alle paar Wochen mal anschauen, Spiele, die selten hervorgekramt werden. „Bei dem Spielzeugüberfluss kommt das Spielen zu kurz. Vieles im heutigen Spielzeugangebot ist oft kein Zeug mehr zum Spielen.“

Kinder wissen, dass man mit fast allem spielen kann, was einen umgibt – wenn man nicht im Spielzeugangebot erstickt und den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Nicht die Menge von Spielzeug ist wichtig, sondern der Spaß am Spielen.

 

 

Was Babys wirklich brauchen

In den ersten beiden Lebensjahren lernt das Kind beim Spiel vor allem, sich mit dem eigenen Körper und der näheren Umgebung, vertraut zu machen.

Professor Dr. Berthold Koletzko: „Babyspielzeug ist vor allem dafür da, die Sinnesorgane des Babys anzuregen. Säuglinge nehmen in erster Linie über ihre Haut Kontakt mit ihrer Umwelt auf. Sie begreifen die Welt, wenn sie durch das Betasten mit der Hand Formen, Konsistenz und Beschaffenheit der Oberfläche kennen lernen“.

 

Ein Baby ist schon mit einem Becher und einem kleinen Löffel voll zufrieden. Klappern, Rasseln, weiche Frotteebälle, ein Stofftier oder eine Puppe sind das richtige Spielzeug für dieses Alter. Ein Schwimmtier erhöht das Badevergnügen. Schachteln, Dosen oder Büchsen lassen sich immer wieder füllen und entleeren und erlauben dem Kind, seine Fähigkeiten auszuprobieren und seine Neugier zu befriedigen.

 

Bei der Auswahl ist jedoch zu beachten: Nicht jedes Spielzeug eignet sich für Babys, da sie alles in den Mund nehmen. Je jünger das Kind, desto größer muss das Spielzeug sein, empfiehlt die Stiftung Kindergesundheit. Ist das Spielzeug zu klein oder lassen sich einzelne Teile lösen, könnten sie vom Kind verschluckt werden. Das Spielzeug sollte außerdem speichelecht sein. Es dürfen sich keine Farbpartikel oder andere Stoffe von ihm lösen. Wichtig zu wissen: Das CE-Zeichen bedeutet lediglich, dass das Spielzeug der Europäischen Spielzeugrichtlinie entspricht. Es kann als Orientierungshilfe dienen, bietet aber nicht automatisch eine Garantie für sicheres Spielzeug.

 

 

Bewegung statt Ballern

Im Laufe des zweiten Lebensjahrs tritt die Bewegung immer mehr in den Vordergrund. Professor Koletzko: „Kinder brauchen Spiele, die ihnen Bewegung erlauben und Anstrengung abfordern. Von der Bewegung gehen entscheidende Impulse für alle kindlichen Wachstumsprozesse aus“.

Die Kinder freuen sich über große Holztiere, große Bälle und Spielzeugwagen zum Nachziehen. Auch Puppen und Bausteine sind sehr begehrt. Eltern sollten aber wissen: Ein lärmendes Spielzeug - in diesem Alter überaus beliebt - kann ab einer bestimmten Lautstärke das Gehör des Kindes schädigen.

Im Kindergartenalter kommen dem Bewegungsbedürfnis der Kinder Dreirad, Roller, Klettergeräte und Schaukelpferd entgegen. Beliebt sind auch Fahrzeuge mit verschiedenen mechanischen Funktionen wie Feuerwehr, Kran, Bagger, Handwagen oder Schubkarre.

Auch im Grundschulalter sind Spielsachen empfehlenswert, die das Kind zur Bewegung anleiten: Für Weihnachten bieten sich Schlittschuhe eher an als Rollschuhe, die noch viel zu lange im Regal auf besseres Wetter warten müssten. Ein Springseil, Strickleiter oder eine Schaukel können auch im Zimmer benutzt werden.

 

 

Spielzeug für die Phantasie und fürs Gemüt

Vorgefertigtes Spielzeug wie Puppen, Autos, Bälle oder Eisenbahnen kann durchaus empfehlenswert sein, wenn es zu bestimmten Spielen herausfordert und anregt. Professor Koletzko: „Gutes Spielzeug ist vielseitig verwendbar, weil es nicht nur für eine Aufgabe vorbestimmt ist. Je vielfältiger die Spielmöglichkeiten, desto länger bleibt das Spielzeug interessant. Ein klassisches Beispiel sind Baukästen mit sehr vielen neutralen Elementen, die die Erfinderfreude beflügeln. Jedes Kind braucht Spielmaterial zum phantasievollen Gestalten, um sich auszudrücken: Fingerfarben, Wachsmalstifte, Faserschreiber, Deckfarbe, Tusche und viel Papier. Außerdem braucht jedes Kind braucht Puppen und Spieltiere, um etwas lieb haben zu können“.

Doch bitte nicht zu viel davon, warnt die Stiftung Kindergesundheit: Einem Zweijährigen reichen schon fünf unterschiedliche Teile zum Spielen. Hat das Kind zu viel, ist es überfordert, kann sich nicht mehr allein beschäftigen, wird unkonzentriert und lustlos. Eltern sollten deshalb die Spielzeugflut eindämmen, sagt Professor Koletzko.

 

Für den Umgang mit bereits vorhandenem Spielzeug empfiehlt die Stiftung Kindergesundheit:

  • Räumen Sie das Spielzeug weg, mit dem Ihr  Kind in letzter Zeit nicht gespielt hat.
  • Fordern Sie nicht zu viel. Ist ein Spielzeug zu kompliziert, legen Sie es so lange weg, bis ihr Kind reif genug ist, damit zu spielen.
  • Es ist günstiger, bereits vorhandenes Spielzeug zu ergänzen – zum Beispiel Zubehör zur Puppe oder Schienen und Wagen für die Eisenbahn – als ständig neue Einzelteile zu schenken.

Festtage sind Spieletage!

Gemeinsame Spiele mit dem Kind können einem grauen, dunklen Winternachmittag neue Lichter aufsetzen. Am Brettspiel, beim Quartett oder bei altersgeeigneten Quizspielen lernt das Kind das Einhalten von Regeln und das angemessene Verhalten beim Gewinnen und Verlieren. Gemeinsame Spiele mit der Familie vermehren auch das  Zusammengehörigkeitsgefühl. Professor Koletzko rät deshalb allen Eltern: „Nutzen Sie die Festtage ausgiebig zu gemeinsamen Aktivitäten mit Ihren Kindern. Das ist das beste Geschenk, was Sie ihnen machen können!“

 

Puppen für Mädchen, Pistolen für Jungs?

In den ersten zwei Lebensjahren unterscheiden sich Jungen und Mädchen nur geringfügig in ihrem Spielverhalten. In Spielstudien an der Universitätskinderklinik Zürich beobachteten die Wissenschaftler in den ersten 18 Monaten keine Geschlechtsunterschiede. Sie ließen auch die Jungen mit Puppen und Haarbürste spielen. Jungen haben genauso wie die Mädchen die Puppen gefüttert und ihnen die Haare gebürstet. Dabei hatte die Mehrzahl der Jungen zuvor noch nie mit einer Puppe gespielt.

Wenn sie die Gelegenheit dazu haben, spielen Jungen mit einer Puppenstube ebenso differenziert wie Mädchen. Mädchen nehmen Gegenstände genauso oft und ausgiebig in den Mund wie Jungen. Erst später gehen die Interessen auseinander: Vom Ende des zweiten Lebensjahres an neigen Jungen mehr zum Auskundschaften, Mädchen mehr zum symbolischen und sozialen Spiel.

Als die Züricher Forscher ihren Kindern einen kleinen Kochherd zum Spielen gaben, kochten die Mädchen auf dem Herd für ihre Püppchen Mahlzeiten. Die Jungen dagegen versuchten, den Herd auseinander zu nehmen. Die Mädchen spielten nach, was sie erlebt hatten, die Jungen wollten wissen, wie der Kochherd gebaut ist und wie er funktioniert.