September 2008

Krippenkinder: Öfter erkältet, aber seltener allergisch

Die Stiftung Kindergesundheit informiert über die gesundheitlichen Auswirkungen der Krippenbetreuung

 

Ist es für Babys und kleine Kinder von Nachteil, wenn sie in Kinderkrippen und Kitas betreut werden? Die früher oft sehr kontrovers geführte Diskussion hat sich mittlerweile beruhigt. Es gilt als sicher, dass eine Berufstätigkeit der Eltern nicht die gesunde Entwicklung der Kinder bedroht. Studien haben ergeben, dass Kinder berufstätiger Mütter nicht mehr, sondern sogar weniger Auffälligkeiten in Entwicklung und Verhalten aufweisen, berichtet die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme. Anscheinend trägt die Berufstätigkeit so viel zur Lebenszufriedenheit von Müttern und Vätern bei, dass dadurch auch die emotionalen Bedürfnisse der Kinder insgesamt besser erfüllt werden können. 

 

Wie steht es aber mit der gesundheitlichen Belastung von Krippenkindern? Müssen ihre Eltern im Hinblick auf Erkältungen und Durchfälle, Kinderkrankheiten und Allergien mit größeren Risiken rechnen als Eltern mit einem „Hauskind“? Dr. Joachim Heinrich vom GSF-Institut für Epidemiologie in Neuherberg und Professor Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselspezialist der Universitätskinderklinik München und Vorsitzender der Stiftung Gesundheit haben die heute zur Verfügung stehenden in- und ausländischen Daten zu diesem Thema ausgewertet und in der „Monatsschrift Kinderheilkunde“ publiziert. Ihre Arbeit wurde durch das Deutsche Jugendinstitut und durch die Stiftung Kindergesundheit gefördert.

 

Professor Koletzko bringt die vorliegenden Erkenntnisse auf einen kurzen Nenner: „Wenn kleine Kinder zusammenkommen, können sie sich gegenseitig mit Krankheiten anstecken. Das ist eigentlich eine Binsenweisheit, die allen Eltern seit ewigen Zeiten bekannt ist. Diese Infekte sind zwar meist unangenehm und belastend, oft aber auch wichtig und notwendig, weil sie das Immunsystem trainieren. Krippenkinder sind anfänglich häufiger krank als Hauskinder, das könnte sich aber längerfristig mit einer höheren Widerstandskraft und weniger Infekten im späteren Kindergarten- oder Schulalter auszahlen“.

 

Gründliche Studien aus der DDR

In der DDR galt die möglichst vollzeitige Berufstätigkeit der Frauen als politisches Ziel. Als Voraussetzung dafür wurde praktisch allen Kindern ein Kinderbetreuungsplatz angeboten. Die psychische und körperliche Entwicklung und Gesundheit der Krippenkinder wurde regelmäßig überwacht und dokumentiert. Professor Koletzko: „Diese Forschungsergebnisse liefern wichtige Hinweise auf die Auswirkungen der Krippenbetreuung auf die körperliche Gesundheit der Kinder“.

 

So zeigten Reihenuntersuchungen bei über 30 000 Vorschulkindern in der ehemaligen DDR deutliche Unterschiede im Gesundheitszustand zwischen Familienkindern und Krippenkindern. Professor Koletzko berichtet: „Mehr als die Hälfte der Krippenkinder waren im Alter von bis zu einem Jahr von Atemwegserkrankungen betroffen, während nur bei etwa drei Prozent der Familienkinder vergleichbare Befunde festgestellt wurden. In Krippen betreute Babys unter 12 Monaten erkrankten deutlich häufiger an Infektionskrankheiten. Erkrankungen der Sinnesorgane, darunter Mittelohrentzündungen und Bindehautentzündungen waren bei den Krippenkindern insbesondere während des ersten Lebensjahres deutlich erhöht“.

 

 

Weltweit identische Erfahrungen

Eine besonders typische Belastung für Krippenkinder sind Mittelohrentzündungen. Die Häufigkeit dieser oft sehr schmerzhaften Krankheit wurde in mehreren epidemiologischen Studien in den USA, Großbritannien, Schweden, Dänemark und Norwegen untersucht wurde.

Hier einige Erkenntnisse daraus:

  • Zwei von drei Mittelohrentzündungen gehen auf das Konto des Besuchs von Kindereinrichtungen.
  • Je früher ein Kind in die Gruppenbetreuung kommt, umso eher wird es seine erste Mittelohrentzündung durchmachen.
  • Die Betreuung in Kinderkrippen schon v o r dem ersten Geburtstag führt zu einem ausgeprägteren Auftreten dieser Erkrankungen im Vergleich zu einem Eintrittsalter in Krippen oder Kindergärten im späteren Leben.

Diese Unterschiede schwächten sich allerdings bis zum sechsten Lebensjahr immer mehr ab. Bei den Sechsjährigen wurden zwischen Familienkindern und Kindergartenkindern nur noch geringfügige Unterschiede in Bezug auf Atemwegserkrankungen, Infektionen oder Störungen des Verdauungssystems festgestellt.

 

Daraus kann geschlossen werden, dass mit dem frühen Besuch von Krippen keine gravierenden, dauerhaften gesundheitlichen Benachteiligungen auftreten, konstatiert die Stiftung Kindergesundheit.

 

Ähnliche Ergebnisse erbrachte eine weitere Untersuchung, in der man die Erkrankungshäufigkeit von Krippenkindern mit jener von Kindern mit ausschließlicher Familienbetreuung verglichen hat. Professor Koletzko: „Krippenkinder erkrankten während der ersten drei Lebensjahre 1,6- bis 2,6-mal häufiger als Hauskinder. Unabhängig vom Aufnahmealter erkrankten Krippenkinder während der ersten sechs Monate nach Beginn des Krippenbesuchs besonders häufig. Insgesamt waren Krippenkinder während der ersten drei Lebensjahre acht Wochen lang, oder um ganz genau zu sein 55,9 Tage lang krank. Krankheiten der Atemwege und des Ohrs verursachten etwa drei Viertel aller Erkrankungsfälle und –tage“.

 

Besonders aufschlussreich: Wenn ehemalige Hauskinder in den Kindergarten kamen, waren sie plötzlich deutlich häufiger krank, als ehemalige Krippenkinder. Das betraf insbesondere die Erkrankungshäufigkeit im ersten Jahr der Kindergartenbetreuung. Diese Studie zeigt, dass es durch den ersten Kontakt mit vielen Kindern auch noch im Kindergartenalter vermehrt zu Atemwegsinfekten und infektiösen Erkrankungen des Ohres kommt.

Eine Untersuchung von 4 000 norwegischen Kleinkindern in Oslo ergab für Krippenkinder ebenfalls ein höheres Risiko für Erkältungserkrankungen und für Mittelohrentzündungen. Es gab dagegen keinen Zusammenhang zwischen dem Besuch einer Kinderkrippe im Alter von einem Jahr und dem Auftreten von Asthma, Heuschnupfen oder einer allergischen Sensibilisierung im Alter von zehn Jahren.

 

 

Training für das Immunsystem

Der frühe Besuch einer Gemeinschaftseinrichtung scheint das Immunsystem der Kinder im Sinne einer Abhärtung zu trainieren. Amerikanische Krippenkinder erkrankten im Alter von sechs bis elf Jahren deutlich seltener an Atemwegsinfekten als Hauskinder, was die untersuchenden Ärzte auf eine verbesserte Immunantwort der Kinder zurückführen.

Besonders interessante Ergebnisse erbrachte eine Querschnittstudie mit über 2 000 Kindern im Alter von fünf bis 14 Jahren in Sachsen-Anhalt.

Diese so genannte Bitterfeld-Studie hat gezeigt, dass ein frühes Eintrittsalter in die Kinderkrippe offensichtlich das Auftreten von Asthma und Heuschnupfen im späteren Leben vermindert. Dieser schützende Effekt konnte allerdings nur bei Kindern nachgewiesen werden, die ohne Geschwisterkind aufwuchsen. In einer weiteren Studie war der schützende Effekt des Besuchs einer Kindereinrichtung vor dem fünften Lebensjahr in Bezug auf Heuschnupfen bei fast 20 000 jungen Erwachsenen noch Jahrzehnte später nachweisbar.

 

 

Krippenkinder brauchen viel Platz

Wenn viele Kinder auf engem Platz zusammengepfercht sind, haben Bakterien oder Viren ein leichtes Spiel: Es steigt die Ansteckungsgefahr. Untersuchungen zeigen, dass die Häufigkeit von Infektionskrankheiten auch von der pro Kind zur Verfügung stehenden Fläche abhängt.

 

Professor Koletzko zieht ein erfreuliches Fazit: „Insgesamt zeigen die vorhandenen Daten, dass Krippenkinder im Vergleich mit Hauskindern keinesfalls dauerhaft gesundheitlich benachteiligt sind. Die wesentliche Frage ist heute, welche Bedingungen des Krippenbesuchs im Hinblick auf die Flächenbereitstellung im Innenraum und außen, auf die Gruppengröße, auf die räumliche Gestaltung, auf die hygienischen Bedingungen, auf Lüftung und Freiluftaufenthalte, und auf die Tagesablaufsplanung der Gesundheit der Kinder zuträglich sind und welche Bedingungen möglicherweise nachteilige gesundheitliche Auswirkungen haben. Auf diese wichtigen Fragen gibt es derzeit kaum datengestützte Antworten. Um die Gesundheit unserer Kinder optimal zu schützen brauchen wir dringend konsequente Forschungsanstrengungen. Ein Schwerpunkt künftiger Untersuchungen muss sein, Bedingungen der Kinderkrippenbetreuung zu verstehen, die sich auf die langfristige Kindergesundheit auswirken. Nur so können wir die für unsere Kinder richtigen praktische Empfehlungen erhalten“.

 

 

Was braucht das Kind – und was die Eltern?

Beim Für und Wider der außerfamiliären Betreuung geht es um die Vereinbarkeit zweier einander scheinbar entgegengesetzten Bedürfnisse: um das Grundbedürfnis des Kindes nach emotionaler, sozialer und gesundheitlichen Sicherheit und um das ebenso wichtige Bedürfnis der Familien nach materieller Existenzsicherung.

 

Nach aktuellen Erkenntnissen der Bindungsforschung nimmt die Fremdbetreuung wegen Berufstätigkeit der Mutter bzw. beider Eltern keinen erkennbar negativen Einfluss auf das Bindungsverhalten. Eine qualitativ schlechte Fremdbetreuung kann zwar eine Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten bewirken, durch eine qualitativ gute Fremdbetreuung wird auch eine Besserung bewirkt.

Die Stiftung Kindergesundheit weist jedoch in ihrer Stellungnahme mit Nachdruck auf einen weiteren aktuellen Problemkreis hin: Immer mehr Kinder aus bildungsfernen, von Armut betroffenen und überforderten Familien brauchen bereits in ihren ersten Lebensjahren eine außerhäusliche Betreuung, um ihre Fähigkeiten entfalten zu können.

 

Ein weiterer Aspekt: Heute wächst jedes vierte Kind (25,4 Prozent) in Deutschland als Einzelkind auf. „Kinder brauchen aber andere Kinder für die Entwicklung ihrer sozialen Kompetenzen“, sagt Professor Koletzko. „Der Umgang mit Gleichaltrigen, jüngeren oder älteren, stärkeren oder schwächeren Kindern verstärkt ihre Chancen, ihre soziale Rolle in der Gemeinschaft zu finden“.

 

 

Sozialpädiater fordern kleinere Gruppen und mehr Betreuerinnen

Es gibt heute immer noch Gruppen von bis zu 25 Kindern, für die lediglich 1,5 Erzieherstellen zur Verfügung stehen, beklagt die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie. Sie fordert deshalb deutlich verbesserte altersgewichtete Betreuungsschlüssel für Kleinkinder. Als Richtschnur sehen die Sozialpädiater eine Gruppengröße von bis zu 12 Kindern in der Altersklasse unter drei Jahren an. Für Säuglinge von neun bis zwölf Monaten soll dabei eine Betreuerin für maximal zwei Kinder zuständig sein, für das Alter von zwölf bis 24 Monaten eine Betreuerin für maximal drei Kinder und für Kinder von 24 bis 36 Monaten eine Betreuerin für maximal vier Kinder vorgehalten werden. Diese Richtwerte werden allerdings bislang fast nirgendwo erreicht.