April 2007

"Folsäure - das Vitamin für gesunde Babys"

Die Stiftung Kindergesundheit begrüßt den Vorstoß des Bundesrats zur besseren Versorgung mit diesem wichtigen Nährstoff.

 

Vitamine sind "in": Sie gelten als Garanten für Fitness und Wellness, als Basis für "Bio" und "Natur". Leider ist eines unter ihnen den meisten Menschen hier zu Lande so gut wie unbekannt. Dabei leistet die Folsäure einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit von Erwachsenen und schützt ungeborene Babys sogar vor schweren Fehlbildungen, betont die in München beheimatete Stiftung Kindergesundheit. Sie begrüßt deshalb in ihrer aktuellen Stellungnahme einen kürzlich gefassten, wegweisenden Beschluss des Bundesrats. Das Ländergremium hatte sich darin nachdrücklich für eine Verbesserung der Versorgung mit diesem wichtigen Vitamin ausgesprochen.

 

In einer Entschließung vom 15. Dezember 2006 fordern die Länder die Bundesregierung auf:

  • durch eine gezielte Aufklärungs- und Informationskampagne die Bevölkerung über die Folgen einer zu geringen Folsäurezufuhr, insbesondere in der Frühschwangerschaft aufzuklären,
  • bei den Spitzenverbänden der Krankenkassen und beim Gemeinsamen Bundesausschuss darauf hinwirken, dass die Kosten für Folsäurepräparate für Schwangere wieder von den Kassen übernommen werden.
  • Außerdem sollen die Hersteller von Antibabypillen in den Beipackzetteln darauf hinweisen, dass Frauen, die sich ein Kind wünschen und deshalb die Pille wieder absetzen, auf eine ausreichende Folsäureversorgung achten sollten.

"Es ist sehr erfreulich, dass nun auch die Politik die Brisanz des Problems Folsäure erkannt hat", wertet Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit die Initiative des Bundesrats. "Die Forderung nach stärkerer Information ist mehr als berechtigt. Leider wird aber eine besonders wirksame Maßnahme, nämlich die Anreicherung von Grundnahrungsmitteln mit Folsäure, in der Entschließung nicht thematisiert", bedauert der Ernährungsspezialist der Universitäts-Kinderklinik München.

 

Was Folsäure alles bewirkt

"Zusammen mit dem Vitamin B12 ist Folsäure, die ebenfalls zu der Gruppe der B-Vitamine gehört, an der Bildung und Reifung von roten Blutkörperchen beteiligt", erläutert Kinder- und Jugendarzt Professor Dr. Berthold Koletzko die Aufgaben der lebenswichtigen Substanz. "Der Organismus benötigt dieses Vitamin für Zellteilung, Fortpflanzung und Wachstum. Er kann es aber nicht selbst herstellen und muss deshalb über die Nahrung damit versorgen werden".

Wie wichtig Folsäure tatsächlich ist, wurde erst in den letzten Jahren mehr und mehr erkannt. Heute weiß man: Ein Mangel an Folsäure kann zu Blutarmut, Verdauungsstörungen und Veränderungen der Mundschleimhaut führen. Auch an der Entstehung von Herzkrankheiten ist ein Mangel an Folsäure beteiligt.

Der Bedarf an Folsäure ist während einer Schwangerschaft deutlich erhöht. Der Grund: Der Embryo, die Gebärmutter und der Mutterkuchen (Plazenta) wachsen, die Blutmenge nimmt zu. Mittlerweile weiß man außerdem, dass Folsäure für die gesunde Entwicklung von Rückenmark und Gehirn des Babys eine wichtige Rolle spielt: Sie kann die Entstehung von so genannten Neuralrohrdefekten verhindern.

Als Neuralrohr wird eine Vorstufe des Zentralnervensystems bezeichnet. Dieses Gebilde verschließt sich etwa in der vierten Schwangerschaftswoche, zu einem Zeitpunkt, da die meisten Frauen noch gar nicht wissen, dass sie schwanger sind.

 

 

Es drohen Lähmungen und Lippenspalten

Wächst dieses Rohr beim Ungeborenen gar nicht oder nur unvollständig zusammen, drohen folgenschwere Missbildungen des Nervensystems: Das Baby leidet zum Beispiel an einer so genannten "Meningomyelozele" (einer bruchsackartigen Ausbeulung des Rückenmarks) oder an einer "Spina bifida" (offener Rücken). Die möglichen Folgen sind Lähmungen und lebenslange Störungen wichtiger Funktionen von Blase, Darm, Muskulatur und Haut. Bei etwa 80 Prozent der Kinder mit offenem Rücken entwickelt sich auch ein Hydrocephalus (Wasserkopf), eine Abfluss-Störung der Hirnflüssigkeit. Sie kann heute zum Glück oft erfolgreich behandelt werden.

Mangelt es an Folsäure während der Frühschwangerschaft, drohen auch andere Gefahren wie zum Beispiel die Entstehung von Herzfehlern oder einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (LKG, im Volksmund als "Hasenscharte" bezeichnet).

Eine soeben publizierte Studie amerikanischer und norwegischer Forscher ("British Medical Journal", online vorab am 26. Januar 2007) ergab: Die regelmäßige Einnahme von Folsäure kann die Häufigkeit von LKG-Spalten um bis zu 40 Prozent verringern.

 

 

Auf lebenslange Pflege angewiesen

Das Risiko, mit einer Spina bifida und anderen Neuralrohrdefekten geboren zu werden, liegt in Deutschland bei 1 zu 1.000 Geburten. In zwei von drei Fällen wird die Fehlbildung bereits während der Schwangerschaft entdeckt und wegen der zu erwartenden schweren Schädigung des Kindes meist abgebrochen. Nach einer Schätzung der Universität Mainz kommen in Deutschland jedes Jahr dennoch etwa 1.600 Babys mit einer derartigen Fehlbildung zur Welt - trotz Schwangerenvorsorge und Schwangerschaftsabbrüchen. Sie sind in der Regel auf eine lebenslange medizinische Versorgung und Pflege angewiesen.

Eine ausreichende Versorgung mit Folsäure könnte dieser fatalen Entwicklung vorbeugen. Sie ist jedoch im Alltag nur schwer zu sichern. Die von Ernährungsexperten empfohlene tägliche Aufnahme von 400 Mikrogramm (= 4 mg) Folsäure wird bei den derzeitigen Ernährungs- und Lebensgewohnheiten der Bevölkerung nur selten erreicht. Frauen und Männer nehmen im Mittel nur rund die Hälfte der empfohlenen Menge auf. Die Folsäureversorgung von Kindern liegt ebenfalls unter den Empfehlungen. Die in der Schwangerschaft erhöhte Zufuhr auf 600 Mikrogramm schafft nicht einmal jede zehnte Schwangere.

 

 

Woher kommt der Mangel im Überfluss?

"Es gibt zwar eine Reihe von folsäurereichen Nahrungsmitteln, zum Beispiel Kohl, Broccoli, Feldsalat, Fenchel, Spinat, Spargel, Vollkornprodukte, Sauerkraut und Kartoffeln", erklärt Professor Koletzko. "Leider kann der Körper aber nur einen Teil der darin enthaltenen Folsäure verwerten. Außerdem ist die Folsäure in Gemüse, Obst oder Getreide ausgesprochen hitze- und lichtempfindlich und geht bei langem Kochen oder Lagern der Lebensmittel leicht verloren."

Die Empfehlung, den Folsäuremangel schon in der Frühschwangerschaft durch die Einnahme von Folsäuretabletten auszugleichen, wird nur von wenigen Frauen befolgt. Untersuchungen in Sachsen-Anhalt ergaben: Nur sieben Prozent der Frauen, die mit der Empfängnisverhütung aufgehört hatten, um ein Baby zu bekommen, nahmen, wie empfohlen, Folsäurepräparate ein, obwohl die Empfehlung 72 Prozent der Frauen bekannt war.

Auch viele Frauenärzte lassen die wissenschaftlichen Empfehlungen außer Acht. Ein möglicher Grund: Folsäurepräparate müssen - wie andere Vitamine auch - auf Privatrezept oder auf dem Grünen Rezept verordnet und von den werdenden Müttern selbst bezahlt werden. Die weit verbreitete Mentalität "Geiz ist geil" könnte in diesem Fall besonders verhängnisvolle Folgen haben, obwohl eine Monatsdosis Folsäure lediglich zwischen sechs bis sieben Euro kostet.

 

 

Folsäure zum Frühstück

Unter diesen Umständen ist es wenig verwunderlich, dass die Häufigkeit von Neuralrohrdefekten in Deutschland trotz der bereits seit Jahren bekannter Erkenntnisse nicht zurückgeht. Deshalb hat sich vor vier Jahren ein Arbeitskreis "Folsäure und Gesundheit" etabliert, zu dessen Gründungsmitgliedern auch die Stiftung Kindergesundheit gehört. Unter den beteiligten Kinder- und Jugendärzten, Gynäkologen und Ernährungsexperten herrscht eine selten einhellige Übereinstimmung über die Notwendigkeit, die Folsäureversorgung der Bevölkerung zu verbessern. Professor Koletzko: "Dies wäre am einfachsten zu erreichen, wenn wir bestimmte Grundnahrungsmittel mit Folsäure anreichern würden, so wie es in vielen Ländern der Welt bereits geschieht."

 

 

Dazu einige Beispiele:

In den USA werden bereits seit 9 Jahren standardisierte Mehle, Brote, Brötchen, Frühstückscerealien, Reis- und Nudelprodukte zusätzlich mit Folsäure angereichert. Seither ist die Zahl von Neuralrohrdefekten bei Babys um 33 Prozent zurückgegangen. In Kanada gelten die gleichen Bestimmungen wie in den USA.

In Ungarn wird dem zur Brotherstellung verwendeten Mehl auch Vitamin B12 zugesetzt.

In Irland und Großbritannien soll die bisher auf freiwilliger Basis propagierte Mehlanreicherung demnächst ebenfalls obligat durchgeführt werden, wie das bereits in rund 40 weiteren Ländern der Erde üblich ist.

In allen Ländern mit verpflichtender Folsäureanreicherung von Lebensmitteln kam es seit Einführung dieser Maßnahme zu einem Rückgang von Neuralrohrdefekten zwischen 27 und 55 Prozent, in einer kanadischen Provinz sogar noch deutlich darüber. Überträgt man diese Zahlen auf Deutschland, so könnte bis zu 770 Babys pro Jahr das Schicksal einer Behinderung erspart bleiben, heißt es in einer Berechnung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, DGE.

Deshalb spricht sich auch die DGE für eine Anreicherung von Mehl mit Folsäure aus. Der Vitaminszusatz sollte sich auf die Mehltypen 550 und 630, also die so genannten "Bäckermehle" beschränken. So bleibt für den Verbraucher die Wahlfreiheit erhalten. Mit der Anreicherung allein ist es jedoch noch nicht getan, betont Professor Koletzko: "Damit die Verarbeiter und die Konsumenten von Bäckermehlen den Vitaminzusatz auch akzeptieren, sind flankierende Informationskampagnen unerlässlich. Die Gesundheit unserer Kinder sollte uns das Wert sein."