November 2007

Immer mehr zuckerkranke Kinder - warum?

Beim Stichwort Zuckerkrankheit denken die meisten von uns zuerst an ältere Menschen. So falsch ist das nicht, denn der größte Teil der rund vier Millionen Menschen mit einer diagnostizierten Zuckerkrankheit in Deutschland hat einen Diabetes des Typs 2, der mit steigendem Alter häufiger wird.

Doch unter den rund 600 000 Deutschen, die am insulinpflichtigen Diabetes des Typs 1 leiden, sind nach den aktuellen Angaben der Stiftung Kindergesundheit etwa 21 000 bis 24 000 Kinder und Jugendliche – manche bereits im Babyalter.

„Damit ist die Zuckerkrankheit die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindesalter“, präzisiert Professor Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselexperte der Münchner Universitätskinderklinik und Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. „Die Inzidenz, also die Rate der Neuerkrankungen, steigt weltweit dramatisch an. Sie liegt in Deutschland bei 12,2 Fällen pro 100.000 pro Jahr. Besonders der Anteil jüngerer Kinder wird immer größer“.

 

Die genaue Ursache der stetigen Zunahme ist (noch) nicht bekannt, sagt Professor Dr. Anette-Gabriele Ziegler vom Münchner Institut für Diabetesforschung an der Kinderklinik der TU München. Es werden mehrere Faktoren diskutiert:

 

Vererbung

„Die Gene des Diabetesrisikos werden in größerem Maße weitervererbt“, so Professor Ziegler. „Es ist noch nicht so sehr lange her, dass Frauen mit Typ 1 Diabetes kaum Kinder bekommen konnten. Vor weniger als 100 Jahren gab es noch kein Insulin und Menschen mit Typ 1 Diabetes sind an ihrer Krankheit gestorben. Heute können auch diese Diabetiker ohne weiteres Kinder bekommen. Damit geben sie aber ihre Gene weiter und das Krankheitsrisiko breitet sich aus“.

 

Dieses Risiko lässt sich in Zahlen darstellen:

  • Das allgemeine Typ 1 Diabetes-Erkrankungsrisiko liegt etwa bei 0,3 Prozent. Das bedeutet, dass drei von 1000 Kindern einen Typ 1 Diabetes bekommen werden.
  • Bei Kindern mit einem von Typ 1 Diabetes betroffenen Verwandten (Vater, Mutter oder Geschwister) liegt das durchschnittliche Erkrankungsrisiko bereits bei etwa 5 Prozent.
  • Kinder aus Familien, in denen bereits mehrere Personen (Vater, Mutter oder Geschwister) an Typ 1 Diabetes erkrankt sind, haben ein Risiko von etwa 30 Prozent.
  • Wenn ein Kind neben einem erkrankten Geschwisterkind oder mehreren betroffenen Verwandten zudem selbst noch bestimmte Vererbungs-Merkmale aufweist, die mit der Erkrankung des Typ 1 Diabetes in Verbindung stehen (so genannte Diabetes Risikogene), so besteht ein sehr hohes genetisches Diabetesrisiko von etwa 50 Prozent.

Dennoch stammen die meisten neu erkrankten Kinder aus Familien, in denen bisher kein Typ 1 Diabetes aufgetreten war.

 

Umwelt

Professor Anette-G. Ziegler: „Übergewicht, Ernährungsgewohnheiten, Hygienemaßnahmen und Infektionen im Kindesalter beeinflussen sowohl die Entwicklung des Immunsystems als auch den Stoffwechsel und die Insulinempfindlichkeit. Die Veränderungen dieser Faktoren spielen möglicherweise bei der Zunahme der Autoimmunerkrankung Typ 1 Diabetes eine Rolle“.

 

Ernährung

Dazu Professor Koletzko: „Muttermilch hat einen schützenden Effekt. Gestillte Kinder erkranken später seltener an Diabetes, sowohl an Typ 1 als auch an Typ 2. Wünschenswert ist auch die allmähliche Einführung von Beikost mit kleinen Mengen Gluten (als Getreidebrei) im 5. bis 6. Lebensmonat, die in Beobachtungsstudien mit einem geringeren späteren Krankheitsrisiko verbunden war. Eine zu frühe Einführung vor dem 5. Monat, aber auch eine späte Einführung nach dem 7. Monat ist mit einer höherer Wahrscheinlichkeit für späteren Diabetes Typ 1 (und auch Zöliakie und Weizenallergie) assoziiert.

 

Der Konsum von Lebensmitteln mit Omega-3-Fettsäuren (zum Beispiel fetter Seefisch, Lebertran oder mit solchen Fetten angereicherte Produkte) schon von der frühen Kindheit scheint ebenfalls das spätere Diabetes-Risiko zu senken“.

 

 

Diabetes: Nicht nur das Kind leidet

Die  Behandlung zuckerkranker Kinder beruht auf drei Säulen:

  1. Auf den Ersatz des fehlenden Insulins,
  2. auf der Einhaltung einer kontrollierten Ernährung und
  3. auf regelmäßigen, mehrmals durchgeführten Kontrollen der Stoffwechselsituation.

Das fehlende Insulin muss immer von außen durch Spritzen in das Fettgewebe zugeführt werden. Die Dosis des verabreichten Insulins muss der jeweiligen Situation angepasst sein.

 

Bei zuviel Insulin droht die Gefahr eines Schocks durch Unterzuckerung (Hypoglykämie), der zu tiefer Bewusstlosigkeit führen kann.

Bei zuwenig Insulin sind die Blutzuckerwerte erhöht (Hyperglykämie), was schlimmstenfalls ebenfalls zur tiefen Bewusstlosigkeit, zum Diabetischen Koma führt.

Solche Entgleisungen des Stoffwechsels wiederum erhöhen das Risiko der an Diabetes erkrankten Kinder, Spätkomplikationen wie Netzhautablösung, neurologische Störungen oder Nierenschäden zu erleiden.

 

Die Krankheit Diabetes macht die Mutter zur Kontrollperson, die ständig dafür sorgt, dass die Diät eingehalten, die nötigen Tests durchgeführt, die Spritzen gesetzt werden. Eltern stehen vor dem täglichen Spagat, einerseits liebevolle Erzieher, andererseits konsequente Therapeuten zu sein. Sie müssen ihrem Kind einerseits die Freiheit lassen, die es dringend braucht, andererseits müssen sie aber den kleinen Diabetiker dauernd überwachen.

Es ist meist die Mutter, die ständig an alles denken muss:

An die vielen genau überlegten Mahlzeiten. An die vier bis fünf Blutzuckermessungen pro Tag (dabei wird mit einer Lanzette in eine Fingerkuppe gestochen und ein kleiner Blutstropfen auf einen Teststreifen aufgetragen). An die täglichen drei bis vier Insulininjektionen in Bauch oder Bein. An das Führen eines Diabetiker-Tagebuchs mit allen Daten.

 

Besonders belastend ist dabei die Situation für Mütter und Väter von sehr jungen Kindern, die den Sinn der vielen therapeutischen Maßnahmen noch nicht verstehen können und sich deshalb häufig mit aller Kraft widersetzen.

 

Welche Kraft Mütter dazu brauchen, zeigt das Ergebnis einer Umfrage bei über 500 Familien über die Auswirkung der Zuckerkrankheit eines Kindes: Nahezu alle Mütter der jüngeren Kinder und die Hälfte der Mütter älterer Kinder haben nach der Diagnose „Diabetes“ bei ihrem Kind ihre Berufstätigkeit aufgegeben und auch nicht wieder aufnehmen können.

 

Kinder mit Diabetes sollten wie alle anderen in einen Kindergarten gehen und die Schule besuchen. Größeren Kindern ist es allerdings oft peinlich, Diabetiker zu sein. Sie möchten nicht auffallen und niemanden von ihrem Diabetes wissen lassen. Das geht aber leider nicht: Erzieher und Lehrer müssen über das Problem des Kindes informiert sein. Die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie (AGPD) hat dazu Informationsbroschüren aufgelegt, die ein gegenseitiges Verständnis und die Abstimmung mit den Betreuern unterstützen sollen. Man findet sie im Internet unter http://www.diabetes-kinder.de/.

 

 

Neue Studien - neue Hoffnung

Seit zwei Jahren läuft am Institut für Diabetesforschung München sowie an fünf weiteren Studienzentren in Finnland, Schweden und den USA eine der größten internationalen Studien zu den Ursachen des Typ 1 Diabetes: Die Studie TEDDY (The Environmental Determinants of Diabetes in the Young)) soll die umweltbedingten Ursachen des Diabetes bei Kindern aufdecken. In ganz Deutschland haben bereits über 13.700 neugeborene Babys an der ersten Stufe der Studie teilgenommen, weltweit waren es knapp 190.000.

 

In Deutschland werden noch weitere Babys zur Teilnahme an der TEDDY-Studie gesucht. Werdende Mütter, die ihr Baby auf sein individuelles Typ 1 Diabetes-Risiko testen lassen möchten, erhalten nähere Informationen bei: Institut für Diabetesforschung, TEDDY-Studie, 0800-33 83 33 9 (gebührenfrei), oder TEDDY.GERMANY@LRZ.UNI-MUENCHEN.de

 

 

An einer weiteren Studie mit dem Namen „Pre-POINT“ nimmt in Deutschland außer dem Münchner Institut für Diabetesforschung das DFG Center for Regenerative Therapies der Technischen Universität Dresden teil. Weitere Studienzentren gibt es in den USA, in England, der Schweiz, Österreich und Italien. In dieser Studie soll Insulin auf ganz neuartige Weise eingesetzt werden: als Impfung zur Verhinderung der Erkrankung.  

Kinder von 2 bis 7 Jahren, die aufgrund einer familiären und genetischen Vorbelastung ein besonders hohes Risiko für einen Typ 1 Diabetes haben, könnten davon profitieren. Sie können ab Ende des Jahres an der Studie teilnehmen und bekommen das Insulin entweder über ein Nasenspray oder als Pulver mit der Nahrung verabreicht.

Das Insulin dient dabei nicht zur Senkung des Blutzuckers, sondern soll die Immunreaktion verhindern, die zu einer Zerstörung der Insulin produzierenden Zellen und damit zum Typ 1 Diabetes führt. Die Studie soll über eine Dauer von 18 Monaten zeigen, welche die am besten geeignete Dosis und Form für die Impfung ist.

 

Um Kinder mit einem besonders hohen Diabetesrisiko zu finden, bietet das deutsche Studienzentrum ab sofort eine kostenlose Untersuchung an, bei der das individuelle Risiko eines Kindes bestimmt werden kann. Teilnehmen können daran deutschlandweit alle Kinder, die entweder ein Geschwisterkind oder mehrere nahe Verwandte (Vater, Mutter oder Geschwister) mit Typ 1 Diabetes haben.

 

Nähere Informationen:

Institut für Diabetesforschung, Kölner Platz 1, 80804 München,

Ansprechpartnerin: Dr. Lydia Pan, Tel: 089 / 30 68 – 55 73 oder E-Mail: lydia.pan@lrz.uni-muenchen.de

Studienleiterin Professor Dr. Annette-Gabriele Ziegler erhofft sich von den laufenden Studien wichtige Erkenntnisse für die von Diabetes Typ 1 bedrohten Kinder: „Der „jugendliche“ Diabetes gilt beim Menschen als vorhersehbar, im Tiermodell konnte er bereits verhindert werden. Unser Ziel ist es, Typ 1 Diabetes möglichst bald auch beim Menschen verhindern zu können“.

 

Ausführliche Informationen zum Thema Kinder und Jugendliche mit Diabetes gibt es im Internet auf folgenden Seiten:

http://www.unitefordiabetes.org/

Auf dieser Homepage gibt es Informationen über die Aktivitäten der Vereinten Nationen, die den Weltdiabetestag am 14. November zu einem offiziell akzeptierten Tag der UNO erklären wollen.

 

http://www.diabetes-kinder.de/

Das ist die offizielle Seite der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie.

 

http://www.ispad.org/

Das ist die Homepage der Internationalen Kinder-Diabetesgesellschaft.

 

www.diabetes-deutschland.de

 

http://teddy.epi.usf.edu/

Hier finden Sie ausführliche Informationen zur TEDDY Studie.

E-Mail: teddy.germany@lrz.uni-muenchen.de

 

http://www.diabetes-point.org/

Hier finden Sie ausführliche Informationen zu unserer Pre-POINT Studie.

E-Mail: prevent.diabetes@lrz.uni-muenchen.de

Die Hotline für beide Studien lautet: 0800 – 33 83 339