September 2007

Alkohol - das schlimmste Gift in der Schwangerschaft

Die größte Gefahr für die Entwicklung eines ungeborenen Babys liegt heute weder in Medikamenten noch Drogen oder Umweltgiften, sondern im Alkoholkonsum der Mutter.

 

Alkohol steht mittlerweile an erster Stelle aller Ursachen für geistige Behinderungen, noch vor dem chromosomenbedingten Down-Syndrom. Jährlich kommen im Deutschland etwa 2200 Kinder alkoholgeschädigt zur Welt, also eines von 300 Neugeborenen. Zum Vergleich: Die Häufigkeit des Down-Syndroms liegt bei eins zu 650.

Die alten Griechen haben es noch gewusst: Akoholische Getränke können das Ungeborene schädigen. Der einzige Behinderte unter den Göttern der Mythologie, der klumpfüßige Schmied Hephaistos soll von Zeus im Rausch gezeugt worden sein. In Karthago war frisch vermählten Paaren bei Strafe verboten, in der Hochzeitsnacht Wein zu trinken, um geschädigten Nachwuchs zu vermeiden. Und im Alten Testament sagt ein Engel zur Frau des Manoach: „Denn siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären. Nimm dich jedoch in acht und trink weder Wein noch Bier.“ (Buch der Richter 13,11-14). Der Sohn war der für Stärke berühmte Samson.

Leider geriet dieses Wissen lange Zeit in Vergessenheit und der Zusammenhang zwischen Alkohol und Schäden beim Kind wurde sogar von Wissenschaftlern ernsthaft infrage gestellt. Seit einigen Jahren jedoch sind solche Zweifel nicht mehr möglich, unterstreicht die Stiftung Kindergesundheit in ihrer aktuellen Stellungnahme: Wissenschaftliche Untersuchungen haben zweifelsfrei erwiesen, dass der Alkoholkonsum während der Schwangerschaft ein gewaltiges Risiko für das künftige Leben des Babys darstellt.

 

Auffälliges Gesicht, geschädigte Organe

Müssen Babys im Mutterleib mittrinken, können schwerwiegende Veränderungen an fast allen Organen entstehen. Die Kinder kommen häufig untergewichtig zur Welt und zeigen eine Reihe von Symptomen, die von den Medizinern als „fetales Alkoholsyndrom“, abgekürzt FAS zusammengefasst werden. Die geschädigten Kinder sind körperlich häufig schmächtig und spindeldürr und haben einen kleinen Kopf. Ihr Gesicht zeigt oft typische Veränderungen: Die Oberlippe ist dünn und gerade, der Mund hat die Form eines Knopflochs. Die Augen sind schmal geschnitten und liegen weit auseinander, die Lidachsen fallen zur Seite hin ab, die Oberlider können hängen. Ebenfalls häufig sind eine kurze und breite Nase und ein fliehendes Kinn. Viele dieser Veränderungen im Schädel- und Gesichtsbereich bilden sich allerdings im Laufe des Wachstums  zurück.

 

Bei Erkrankungen der inneren Organe ist es jedoch leider nicht der Fall: Bei jedem dritten Alkoholbaby werden Herzfehler, bei vielen Kindern auch Missbildungen der Harnwege und der Geschlechtsorgane diagnostiziert. Auch sonst sind die Babys sehr anfällig gegen Erkrankungen: Nur ein Fünftel der Kinder mit FAS kommt im Säuglingsalter ohne Krankenhausbehandlung aus.

 

 

Der Geist aus der Flasche trübt den Geist des Kindes

Der oft folgenschwerste Schaden ist die Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung. Der Psychologe und Psychotherapeut Dr. Reinhold Feldmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Münster stellt in einer aktuellen Publikation in der „Monatsschrift Kinderheilkunde“ (im Druck) fest: Selbst wenn die körperliche Ausprägung der Schädigung minimal ist oder gänzlich fehlt, haben die betroffenen Kinder hirnorganische Schäden und oft erhebliche Lerndefizite. Das Erfassen von Regeln und Sinnzusammenhängen ist erschwert, die Konzentrations- und Merkfähigkeit deutlich verringert.

Diplom-Psychologe Dr. Feldmann betreut jedes Jahr rund 100 neue Patienten mit FAS. Sein Vorgänger, der 2004 verstorbene Kinderkardiologe Prof. Dr. Hermann Löser hatte bereits Ende der 70-er Jahre damit begonnen, systematisch die Auswirkungen von Alkoholkonsum der Mutter auf das ungeborene Kind zu untersuchen.

 

Nach Professor Lösers Ausscheiden aus dem Dienst hat Dr. Feldmann das Forschungsfeld von ihm übernommen und eine eigene Sprechstunde für Familien mit FAS-Kindern begründet. Mittlerweile zählt die Liste der in Münster betreuten FAS-Kinder über 800 Fälle. Ein vergleichbares Angebot gibt es in Deutschland nur noch ein weiteres Mal: In den DRK Kliniken Berlin bietet der Neuropädiater Prof. Dr. Hans-Ludwig Spohr ebenfalls eine Sprechstunde für von FAS Betroffene an.

 

 

FAS-Kinder: Probleme ohne Ende

Die Liste der emotionalen Störungen und Verhaltensprobleme der von FAS betroffenen Kinder und Jugendlichen ist lang und deprimierend:

  • Die Intelligenz der ehemaligen FAS-Babys ist vermindert. Der Intelligenzquotient der Münsteraner Stichprobe liegt im Schnitt bei 75 (Normwert 100 plus/minus 15). Die intellektuellen Leistungseinbußen zeigen sich vor allem im logischen Denken und beim Lösen komplexer Aufgaben, beim Rechnen und kombinatorischem Denken.
  • Die Merkfähigkeit der Kinder ist deutlich verringert. Das schlechte Kurzzeitgedächtnis führt zu häufigen Problemen beim Verstehen und Mitarbeiten in der Schule.
  • Auch im familiären Miteinander können die Kinder trotz häufiger Wiederholungen und Erklärungen viele alltägliche Handlungen nichts selbständig ausführen. Sie müssen vielmehr täglich an ihre Aufgaben erinnert werden und brauchen selbst dann noch Anleitung und Kontrolle.

 

Konflikte sind vorprogrammiert

„Noch gravierender als die mehr oder minder ausgeprägten intellektuellen Einschränkungen sind die emotionalen Auffälligkeiten und Verhaltensstörungen bei fast allen Kindern mit FAS“, stellt Dr. Feldmann fest. Die Kinder sind häufig hyperaktiv, leicht ablenkbar und in der Schule ständig undiszipliniert. Sie können ihre Affekte nur schwer kontrollieren und Frustrationen schlecht ertragen. Auch die Risiken des eigenen Verhaltens werden falsch eingeschätzt. Dr. Feldmann: „Die natürliche Angst vor Gefahren fehlt häufig. Die Kinder sind waghalsig, übermütig, geraten im Straßenverkehr oder beim Klettern in gefährliche Situationen“.

 

Ein weiteres auffälliges Merkmal ist ein geringes Distanzgefühl. Dr. Feldmann: „Die Kinder zeigen kein natürliches Misstrauen und suchen spontan die Nähe auch unbekannter erwachsener Personen. Es fehlt ihnen an sozialem Feingefühl. Kinder und Jugendliche mit FAS können soziale Beziehungen nicht adäquat einschätzen. Nicht selten stellen sie eine Person, die sie erst soeben kennen gelernt haben, als ihren besten Freund vor“.

 

Auch in der Pubertät sind Konflikte vorprogrammiert. Dr. Feldmann: „Die betroffenen Kinder und Jugendlichen sind überwiegend außerordentlich hilfsbereit, aber auch naiv, leichtgläubig und verleitbar. Sie begegnen vertrauensselig anderen Kindern und selbst Fremden. Aufgrund ihrer Leichtgläubigkeit geraten sie immer wieder in unangenehme Situationen, deren Konsequenzen sie nicht verstehen. Sie sind auch dadurch gefährdet, dass sie Fremden arglos begegnen und nicht fähig sind, fremde Absichten zu durchschauen. Mädchen mit FAS, die auf fremde Zuwendung gutgläubig antworten und zuweilen selbst in sexualisierter Weise Kontakt suchen, sind in besonderem Maße gefährdet“.

 

 

Bei wie viel Alkohol beginnt die Gefahr?

Diese Frage lässt sich heute recht genau beantworten: Schon kleine Mengen Alkohol können dem Kind schaden! Eine (gerade noch harmlose) Schwellendosis besteht nicht. Die schwerste Form der Alkoholmissbildung wird verständlicherweise vor allem bei chronisch alkoholkranken Frauen beobachtet. Früher ging man davon aus, dass erst bei einem Konsum von rund 100 Gramm Alkohol pro Woche das Risiko ansteigt (ein Liter Wein enthält etwa 70 bis 100 Gramm reinen Alkohol, ein Liter Bier etwa 30 bis 50 Gramm). Mittlerweile gerät allerdings auch das berühmte „Gläschen in Ehren“ ins Visier der Wissenschaftler.

 

So haben britische Forscher aus Bristol in einer Studie mit über 9.000 jungen Müttern und ihren Kindern den Effekt von geringen Alkoholmengen untersucht. 44 Prozent der Mütter tranken gar keinen Alkohol, 40 Prozent weniger als ein Glas und 16 Prozent mehr als ein Glas pro Woche. Die im Alter von vier, sieben und neun Jahren nachuntersuchten Kinder wurden auf Verhaltensauffälligkeiten geprüft. Das überraschende Ergebnis: Vor allem die Mädchen unter den untersuchten Kindern wiesen auch bei sehr kleinen Mengen von Alkohol, also etwa bei einem Glas Bier oder Wein in der Woche, negative und anhaltende Folgen in ihrer späteren Entwicklung auf.

 

Einen Schwellenwert für Alkoholkonsum gibt es also nicht. „Das heißt: Jeder Tropfen ist zu viel!“, präzisiert die Stiftung Kindergesundheit. Sie empfiehlt mit großem Nachdruck allen Frauen, die sich ein Kind wünschen oder bereits schwanger sind: „Bitte, verzichten Sie möglichst sofort und ganz auf Alkohol, Ihrem Baby zuliebe!“

 

 

Prävention in Deutschland –  ein Trauerspiel?

In unserer Gesellschaft ist Alkohol eine legale, offiziell geduldete Droge, die mit reichlichem Steuergewinn des Staates praktisch uneingeschränkt konsumiert werden kann. Das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Gefahr der Alkoholschädigung von Kindern ist nach wie vor nur gering entwickelt. Das Problem wird weitgehend bagatellisiert, konstatierte Professor Hermann Löser bereits in seinem 1995 erschienen Werk „Alkoholembryopathie und Alkoholeffekte“ (Gustav Fischer Verlag). Er stellte damals resignierend fest: „Es erscheint müßig, immer wieder die Notwendigkeit der Prävention zu begründen und null Promille für das werdende Kind zu fordern. Es fehlt zwar nicht an wissenschaftlicher Erkenntnis, vielseitigen politischen Möglichkeiten, Phantasie und Konzepten, ernsthafte Prävention wirksam werden zu lassen. Was vor allem fehlt, ist der gesellschaftlich und politisch getragene Wille, wirklich den Schaden vom Kind fernzuhalten“.

 

Dabei ist die Alkoholembryopathie – im Gegensatz zum Down-Syndrom – eine durchaus vermeidbare kindliche Schädigung, betont die Stiftung Kindergesundheit. Gelingt es durch eine bessere ärztliche und öffentliche Aufklärung werdende Mütter zu informieren, zu warnen und zu motivieren, während der Schwangerschaft auf Alkohol zu verzichten, bleibt vielen Kindern ein beschwerlicher Lebensweg erspart.

 

 

Hier gibt es mehr Rat und Hilfe

Familien, die ein Kind mit FAS betreuen, finden ausführliche Informationen und Hilfsangebote unter folgenden Anlaufadressen:

 

In Münster:

Dr. Reinhold Feldmann

Sozialpädiatrisches Zentrum, Universitätsklinikum Münster

Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin

Albert-Schweitzer-Str. 33

48149 Münster

Tel. 0251 / 83 - 4 85 18, Fax 0251 / 83 – 4 95 – 94

E-Mail: feldrei@uni-muenster.de

 

In Berlin:

Ev. Verein Sonnenhof e.V.

Beratungsstelle für alkoholgeschädigte Kinder

Neuendorfer Straße 60

13585 Berlin

E-Mail: fasd-beratung@hotmail.de

 

Im Internet:

www.fasworld.de

www.faskinder.de

www.fasd-beratung.de

www.nacoa.de

www.faslink.org (englisch)

www.fasaelu.com (mehrsprachig)