September 2010

Perinatale Programmierung

Univ.-Prof. Dr. med. Berthold Koletzko zum Thema: ”Perinatale Programmierung”

Dr. von Haunersches Kinderspital, Klinikum der Universität München,

 

Perinatale Programmierung

Verschiedene Einflüsse kurz vor und nach der Geburt können das lebenslange Risiko für die Entwicklung von Adipositas prägen. Was bedeutet das Konzept der so genannten“ Perinatalen Programmierung“ genau?

In der Phase des raschen Wachstums, der rasanten Entwicklung und Differenzierung der Organe vor und nach der Geburt können während sensitiver Zeitfenster der Entwicklung einwirkende Stoffwechsel- und andere Faktoren langfristige Auswirkungen auf die Funktion des Organismus im späteren Lebensalter ausüben. Für dieses Phänomen werden die Begriffe „Metabolische Programmierung“ und „Metabolische Prägung“ verwendet.

In den letzten Jahren haben zahlreiche wissenschaftliche Studien die starken Auswirkungen frühkindlicher Faktoren auf die Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Lebensqualität beim Menschen bis ins hohe Alter belegt.

 

Das Konzept der frühen metabolischen Programmierung ist seit langem etabliert

Schon in den 1960er Jahren beobachtete man bei Tieren einen dauerhaften Effekt einer Unterernährung während begrenzter Zeitphasen der frühen Entwicklung auf das spätere Körpergewicht im Erwachsenenalter, während eine gleichartige Unterernährung in einem späteren Lebensabschnitt ohne jede Langzeitwirkung blieb. Populär wurde das Konzept der metabolischen Programmierung durch epidemiologische Studien zunächst von Barker und Mitarbeitern, später auch von anderen, welche bei einem niedrigen kindlichen Geburtsgewicht im Erwachsenenalter gehäuft Bluthochdruck, diabetische Stoffwechsellage, erhöhten Blutfetten, sowie eine erhöhte Sterblichkeit am Herzinfarkt und eine verkürzte Lebenserwartung fanden.

 

Die vorgeburtliche Prägung eines späteren Risikos für Übergewicht und Adipositas

Viele Studien finden bei hohem, kindlichem Geburtsgewicht eine gehäufte Adipositas im späteren Alter. Die Wahrscheinlichkeit steigt bei Übergewicht der Mutter und bei diabetischer Stoffwechsellage in der Schwangerschaft. Zur Adipositasprävention können sowohl eine effektive Senkung von Übergewicht bei Kinderwunsch, also schon vor der Schwangerschaft, als auch die Einführung eines bei allen Schwangeren durchgeführten Suchtestes auf Schwangerschaftsdiabetes beitragen.

 

Die Entwicklung des Wachstums nach der Geburt

Weltweit zeigte auch eine schnelle Gewichtszunahme in den ersten beiden Lebensjahren einen Zusammenhang mit späterer Adipositas. In einer eigenen Untersuchung fanden wir z. B. bei 4.235 Kindern in Bayern mit steigender Gewichtszunahme in den ersten beiden Lebensjahren eine stark ansteigende Häufigkeit an Übergewicht im frühen Schulalter.

 

Der Einfluss der Säuglingsernährung auf späteres Übergewicht

Gestillte Säuglinge nehmen im Mittel deutlich weniger an Gewicht zu als flaschenernährte Säuglinge. In einer Studie bei 9 357 Kindern fanden wir bei ehemals gestillten Kindern im Schulalter deutlich weniger Adipositas, was nicht auf Unterschiede im sozioökonomischen Status oder im Lebensstil zurückzuführen war. Bei längerer Stilldauer nahm der Schutzeffekt zu. Stillförderung dient also auch der Adipositasprävention.

 

Empfehlungen für Säuglingsnahrungen

Wir denken, dass Stillen durch den geringeren Eiweißgehalt der Muttermilch besser schützt als Säuglingsnahrungen („Frühe Protein Hypothese“). In einer doppelblind-randomisierten klinischen Studie bei 1.678 Säuglingen in 5 europäischen Ländern gaben wir gesunden Säuglingen Säuglingsnahrungen mit niedrigerem oder höherem Eiweißgehalt.

Eine geringere Eiweißzufuhr im Säuglingsalter normalisierte das Gewicht mit zwei Jahren im Vergleich zu ehemals gestillten Kindern. Die vorliegenden Daten weisen auf eine hierdurch erzielbare Senkung der Adipositashäufigkeit mit 14–16 Jahren um 13% hin. Die Säuglingsernährung kann also einen starken präventiven Einfluss auf die spätere Gesundheit erzielen.

 

Diese Forschungsfelder sind angesichts des demographischen Wandels - mit einem rasanten Anstieg des Verhältnisses von älteren Menschen zu Menschen im Arbeitsalter - von extrem wichtiger Bedeutung, denn sie können zu einer Steigerung der Zahl gesunder und produktiver Lebensjahre beitragen und damit der Lebensqualität des Einzelnen und der wirtschaftlichen Tragfähigkeit der Gesellschaft dienen. Auch deshalb wird die Forschung zur Programmierung und die praktische Umsetzung der hier erzielten Ergebnisse auch in den kommenden Jahren eine hohe Priorität behalten.

 

Quelle: peb Infobrief Nr. 12, April 2010, Plattform Ernährung und Bewegung e.V.