Oktober 2007

Mutterleib und Mutterbrust: Die Wiegen der Gesundheit

Die Stiftung Kindergesundheit informiert über aktuelle Erkenntnisse zur Vorbeugung gegen Zivilisationskrankheiten

Es steht fest: Die Zeit im Mutterleib ist weit mehr als das Abspulen eines vorgegebenen Programms, an dessen Ende ein fertiges Baby zur Welt kommt. Unter dem Einfluss der  Bedingungen, unter denen das Ungeborene im Bauch seiner Mutter heranwächst, können die genetischen Anlagen des Kindes gestärkt oder geschwächt, in die richtige oder aber in eine falsche Richtung „programmiert“ werden. Für diese wichtige Erkenntnis liefern aktuelle Studien immer neue Beweise, betont die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme.

Kinder- und Jugendarzt Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der in München beheimateten Stiftung Kindergesundheit: „Zu den traditionellen Vorstellungen über die Entstehung von Krankheiten sind in den letzten Jahren neue Erkenntnisse hinzugekommen. Heute wissen wir, dass Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, hoher Blutdruck, Erhöhung der Blutfette und die so genannte Insulinresistenz miteinander verknüpft sein können. Der Symptomenkomplex mit dem Namen „metabolisches Syndrom“ gilt heute als wichtiger Motor für die spätere Entwicklung von Diabetes, Herzinfarkt und Schlaganfall. Daraus folgt aber, dass die Vorbeugung vor derartigen Erkrankungen nicht mehr erst im Laufe der Kindheit oder Jugend, sondern bereits Monate vor der Geburt einsetzen muss“.

 

 

Angeboren, aber nicht vererbt

Die Frage, welche Faktoren die „fetale Programmierung“ (auch „metabolische Prägung“ genannt) beeinflussen, war eines der zentralen Themen der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin DGKJ in Nürnberg. Hier einige der aktuellen Erkenntnisse über die Entstehung von Krankheiten, die zwar angeboren, aber nicht vererbt sind:

Übergewicht

Bereits die Ernährungssituation des ungeborenen und des neugeborenen Kindes ist dafür verantwortlich, ob der kleine Mensch in seinem späteren Leben Gewichtsprobleme haben wird.

Zurzeit ist etwa jede dritte Schwangere übergewichtig, berichtete Professor Dr. Martin Wabitsch von der Universitätskinderklinik Ulm. Die Folgen für das Baby zeigen sich in erhöhtem Geburtsgewicht und vergrößerten Fettdepots. Die dadurch veränderte metabolische Programmierung des Ungeborenen hat ein erhöhtes Risiko für das spätere Übergewicht und seine Folgeerkrankungen zur Folge.

 

 

Schwangerschaftsdiabetes

Störungen der Hormonkonzentrationen während der Schwangerschaft können während bestimmten Entwicklungsphasen des Ungeborenen zu Krankheitsveranlagungen im gesamten späteren Leben führen. Professor Dr. Andreas Plagemann, Geburtsmediziner der Berliner Charité: „Auf diese Weise können offenbar neben Übergewicht auch Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, eine erhöhte Stressempfindlichkeit, intellektuelle Defizite, die Neigung zu Autoimmunreaktionen und vieles mehr vorprogrammiert werden“.

 

Ein Beispiel: Der so genannte Gestationsdiabetes, also eine Zuckerkrankheit in der Schwangerschaft. Bei dieser Erkrankung der Mutter kommen die Babys häufig mit einem starken Übergewicht zur Welt. Sie bedeutet aber eine schwelende Gefahr auch für die nachfolgenden Generationen. Die Tochter einer Mutter mit Schwangerschaftsdiabetes hat nämlich ein erhöhtes Risiko, später als erwachsene Frau selbst an gestörter Glucosetoleranz zu leiden. Wenn sie dann schwanger wird, entwickelt sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls einen Gestationsdiabetes und kann wiederum ihre eigenen Kinder mit der „angeborenen, aber nicht vererbten“ Störung belasten. Es entsteht ein Teufelskreis mit stetig steigenden Diabetesraten.

 

Nach aktuellen Erkenntnissen ist heute etwa jede zehnte Schwangere von einem Gestationsdiabetes betroffen, die Stoffwechselstörung bleibt jedoch in 90 Prozent der Fälle unentdeckt. Die dazu notwendige generelle Untersuchung aller Schwangeren auf Störungen des Zuckerstoffwechsels („Glucoseintoleranzscreening“) wird zwar schon lange gefordert, ist jedoch bis heute nicht in den so genannten Mutterschaftsrichtlinien vorgesehen. Mit Hilfe dieser Untersuchung, so Professor Plagemann, könnten pro Jahr rund 70.000 Kindern spätere Erkrankungen erspart bleiben.

 

 

Mangelgeburt

Allerdings beeinflusst nicht nur zu viel Gewicht bei der Geburt die spätere Gesundheit: Auch ein zu niedriges Geburtsgewicht kann das Risiko späterer Erkrankungen aus dem Formenkreis des metabolischen Syndroms erhöhen. So berichtete in Nürnberg Frau Professor Dr. Ellen Struwe von der Universitätskinderklinik Erlangen: „Das ist vor allem der Fall, wenn in den ersten Lebensjahren ein überproportionales Aufholwachstum stattgefunden hat. Bei Babys, die bei der Geburt untergewichtig gewesen sind, lässt sich bereits im Kindesalter eine erhöhte Insulinresistenz nachweisen, die zur Entwicklung eines späteren Diabetes führen kann. Parallel dazu ist die Häufigkeit von stoffwechselbedingten Risikofaktoren wie Übergewicht, erhöhte Blutfette, erhöhter Blutdruck bei diesen Menschen erhöht. Erwachsene, die ein niedriges Geburtsgewicht hatten, weisen eine höhere Sterblichkeit durch koronare Herzkrankheit und Schlaganfall auf“.

 

Kinder, deren Wachstum während der Schwangerschaft aus irgendeinem Grund beeinträchtigt gewesen ist, holen ihr Defizit in 90 Prozent der Fälle bereits innerhalb der ersten zwölf bis 24 Monate wieder auf. Früher wurde dieses „Aufholwachstum“ eines Babys als willkommene Kompensation der Wachstumsverzögerung im Mutterleib angesehen. Heute wird er im Hinblick auf die späteren Gesundheitsrisiken jedoch kritisch beurteilt. So weisen z.B. mangelgeborene Mädchen, die in ihrer frühen Kindheit besonders rasch an Gewicht zugenommen haben, später häufiger eine verfrühte sexuelle Reifung auf. Ihr Hormonhaushalt gerät durcheinander, ihr Körper produziert zuviel Bauchfett. Mangelgeborene Jungen leiden häufiger unter Hodenhochstand, auch Nierenerkrankungen scheinen bei ihnen gehäuft vorzukommen.

 

Die neue Aufgabe der Perinatologen und Kinder- und Jugendärzte gleicht einem Spagat: Sie suchen Wege, um ein angemessenes Aufholwachstum zu gewährleisten, gleichzeitig aber eine übermäßige Gewichtszunahme zu verhindern. Professor Ellen Struwe: „Die damit angestrebte „Reprogrammierung“ des kindlichen Organismus wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein“.

 

 

Muttermilch macht Kinder schlau

Gestillte Kinder sind vor Infektionen gefeit, sogar weit über die Stillzeit hinaus. Muttermilch enthält eine Reihe von Abwehrstoffen, die miteinander zusammenwirken und Infektionen und Entzündungen verhindern können.

So ist das Risiko eines voll- oder teilgestillten Babys, an akuten Magen-Darm-Infekten zu erkranken, etwa vier- bis fünfmal geringer als von Kindern, die ausschließlich Flaschennahrung bekommen.

Studien, in denen gestillte und nicht gestillte Kinder hinsichtlich ihrer späteren Entwicklung verglichen wurden, haben außerdem gezeigt: Muttermilch hat positive Auswirkungen auf den Intelligenzquotienten des Kindes im späteren Alter. Erst kürzlich haben britische Forscher die Ergebnisse einer Studie mit 1.414 Menschen veröffentlicht. Untersucht wurde der Zusammenhang zwischen ihrer frühkindlichen Ernährungsform und ihren späteren Karrieren. Das Ergebnis: 58 Prozent der gestillten Babys erreichten später eine höhere soziale Position als ihre Eltern. Von den Flaschenbabys schafften das nur 50 Prozent. Je länger sie als Kind gestillt worden waren, umso besser entwickelten sich ihre späteren beruflichen Chancen.

 

Ein Grund für die Intelligenz fördernde Wirkung der Muttermilch liegt vermutlich an den in ihr enthaltenen unterschiedlichen Fetten, die zur Entwicklung des Gehirns des Babys beitragen. Dazu berichtete in Nürnberg Dr. Thomas Harder von der Klinik für Geburtsmedizin der Berliner Charité: „Es ist bereits seit den Siebziger Jahren bekannt, dass mit Muttermilch ernährte Kinder bessere Schulleistungen aufweisen als Kinder, die ausschließlich Fläschchennahrung erhielten. Ein unabhängiger positiver Effekt des Stillens auf die kognitive Entwicklung wird mittlerweile durch eine große Anzahl epidemiologischer Studien unterstützt. Eine randomisierte Studie zu dieser Frage zeigt, dass Stillen den kindlichen Intelligenzquotienten erhöht. Die Annahme, dass Stillen aufgrund bestimmter Inhaltsstoffe der Muttermilch, wie z. B. langkettige ungesättigte Fettsäuren (LCPUFA), die in der Flaschennahrung gar nicht oder nicht in ausreichender Menge enthalten sind, diese Wirkungen ausübt, wird durch Befunde unterstützt, die zeigen, dass die Ergänzung von Formulanahrung mit LCPUFA zu einer verbesserten kognitiven Leistungsfähigkeit im Kindesalter führt“.

 

Eine besondere Rolle spielt die langkettige Omega-3-Fettsäure Docosahexaensäure (DHA). Hat sich die Mutter reichlich mit Fisch oder n-3 LCPUFA in der Schwangerschaft und/oder in der Stillzeit ernährt, lässt sich die signifikante Verbesserung der kindlichen Entwicklung bis zum Alter von acht Jahren nachweisen.

 

Ein von der EU gefördertes und der Kinderklinik der Universität München koordiniertes Komitee von über 50 Experten gab deshalb jetzt neue Empfehlungen heraus, in denen während der Schwangerschaft und der Stillzeit eine Nahrungszufuhr von durchschnittlich mindestens 200 mg Docosahexaensäure (DHA) pro Tag befürwortet wird. Das Komitee empfiehlt für schwangere und stillende Frauen den Verzehr von zwei Portionen fettem Fisch (z.B. Lachs oder Makrele) pro Woche.

 

Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit und Koordinator der europäischen Expertengruppe: "Wir hoffen, dass unsere Erkenntnisse den Ärzten klare Richtlinien für die optimale Omega-3-Zufuhr bei Schwangeren und Stillenden liefern. Wir hoffen außerdem, dass künftig möglichst viele werdende und junge Mütter diese Informationen beachten, um damit einen wichtigen Grundstein für die spätere gesunde Entwicklung ihrer Kinder zu legen“.

 

 

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