Mai 2007

Passivrauchen: Babys sind die jüngsten Opfer

Wären Zigaretten Medikamente, dürften sie selbst auf ärztliches Rezept nicht mehr abgegeben werden. Nicht nur, weil sie zu Krebs, Herzleiden oder Lungenkrankheiten führen können, sondern weil sie bereits für ungeborene Babys und kleine Kinder eine riesige Gefahr darstellen.

 

„Passivrauchen ist keine ‘harmlose Belästigung’, wie von rauchenden Frauen und Männern und insbesondere von Lobbyisten der Tabakindustrie und der Gastronomie immer wieder behauptet

wird“, stellt der Vorsitzende der Stiftung, der Münchner Kinder- und Jugendarzt Professor Dr. Berthold Koletzko unmissverständlich klar: „Wer unfreiwillig zum Mitrauchen gezwungen ist, ganz gleich ob

Kind oder Erwachsener, hat nachweislich schwerwiegende Folgen für seine Gesundheit zu fürchten, Gefahren, die in der Öffentlichkeit bisher extrem unterschätzt werden“.

 

Das Deutsche Krebsforschungszentrum DKFZ Heidelberg beziffert die Größenordnung der von diesem Risiko betroffenen Menschen mit folgenden Zahlen:

  • Mindestens 154.000 Babys jährlich werden bereits im Mutterleib den Schadstoffen des Tabakrauchs ausgesetzt.
  • 2,2 Millionen Kinder bis zu fünf Jahren leben in einem Haushalt mit mindestens einem rauchenden Elternteil.
  • Zwei Drittel aller Sechs- bis 13-Jährigen sind zu Hause zum Mitrauchen gezwungen.

 

Wenn Ungeborene schon rauchen müssen

Die Warnungen der Gesundheitsminister auf den Zigarettenpackungen zeigen leider nur wenig Wirkung: Jede fünfte Frau raucht in der Schwangerschaft weiter. Damit gibt sie ihrem Baby im Übermaß die Schadstoffe weiter, die im Tabakrauch enthalten sind. Die Nikotinkonzentration erreicht im Fruchtwasser, im Mutterkuchen und im Blut des Ungeborenen höhere Werte als im Körper der Mutter! Es geht aber nicht nur um das Nikotin allein:

Der Tabakrauch enthält rund 4000 weitere Chemikalien, wie z. B. Ammoniak, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, Benzol, Cadmium oder Nitrosamine mit erbgutschädigenden oder krebserregenden Wirkungen.

 

Die international renommierte Geburtsmedizinerin Professor Dr. Renate Huch aus Zürich schreibt in ihrem Schwangerschaftsratgeber „Glücklich schwanger von A bis Z“ (Trias Verlag): „Was Sie auch tun, Sie teilen alles mit Ihrem Baby – auch den blauen Dunst. Die giftigen Stoffe erreichen Ihr Kind innerhalb weniger Sekunden nach dem ersten Zug an der Zigarette und bleiben dort in hoher Konzentration und sehr lange, weil Abbau und Ausscheidung aufgrund der Unreife der Leber und Nieren des Kindes verzögert sind. Das Nikotin verengt die zarten Blutgefäße, das kleine Herz fängt schneller an zu schlagen, und Kohlenmonoxyd macht dem Sauerstoff das Transportvehikel (rote Blutkörperchen) im Blut streitig. Chronischer Sauerstoffmangel ist die Folge. Sauerstoff ist aber zum Wachstum und zur Ausbildung der Hirnstrukturen des Babys unverzichtbar“.

 

 

Bei jeder Zigarette schnappt das Baby nach Luft

Auf vielen Intensivstationen für mangelhaft entwickelte Babys und untergewichtige „Frühchen“ mühen sich Ärzte und Schwestern unter riesigem Aufwand um Kinder mit Nikotinschäden. Sie sehen jeden Tag mit eigenen Augen: Die Mangelentwicklung ist umso größer, je mehr Zigaretten die Mutter während der Schwangerschaft geraucht hat.

 

Durch das Rauchen werden die Durchblutung der Gebärmutter und damit auch die Versorgung des Ungeborenen beeinträchtigt. Bereits eine einzige Zigarette steigert die Herzfrequenz des Babys um 10 bis 15 Schläge pro Minute. Damit versucht es, den Sauerstoffmangel zu kompensieren. Gleichzeitig steigt sein Blutdruck an. Die schlechtere Durchblutung der Plazenta (Mutterkuchen) führt auf die Dauer zu einer Störung der Entwicklung. Das Ungeborene wächst langsamer und gedeiht schlechter.

 

Babys von Raucherinnen wiegen bei der Geburt durchschnittlich bis zu 200 Gramm weniger als Kinder von Nichtraucherinnen. In einer soeben im Frühjahr 2006 veröffentlichten Studie der Universität Johannesburg wogen die Babys rauchender Schwangeren 165 Gramm weniger und hatten häufiger ein Gewicht unter 3000 Gramm als die Neugeborenen ohne Rauchbelastung.

 

 

Keine Ausreden mehr für qualmende Väter

Auch die Auswirkungen des väterlichen Rauchens auf das Ungeborene sind wissenschaftlich zweifelsfrei belegt. Indische Frauen, die selbst nicht geraucht haben, aber mit einem rauchenden Mann zusammen lebten, brachten nach einer 2004 veröffentlichten Studie um durchschnittlich 138 Gramm leichtere Babys zur Welt als  Frauen von Nichtrauchern. Ihre Babys kamen auch häufiger zu früh oder unreif („small-for-gestation-age“) zur Welt, und waren dadurch bereits bei ihrem Start ins Leben deutlich benachteiligt.

Die Folgen der Mangelentwicklung im Mutterleib zeigen sich aber nicht nur im Geburtsgewicht des Babys. Es drohen auch weitere Gefahren:

  • Raucherinnen haben gehäuft Blutungen in der Schwangerschaft. Dadurch kann es zu Fehlgeburten kommen. Das Risiko steigt mit der Zahl der gerauchten Zigaretten.
  • Lippen-Kiefer-Gaumenspalten kommen bei Babys von Raucherinnen mehr als doppelt
    so häufig vor. Außerdem kommen Kinder von Raucherinnen häufiger mit einem
    Kropf zur Welt.

Professor Koletzko empfiehlt deshalb allen werdenden Müttern und auch ihren Partnern, mit dem Rauchen aufzuhören und mit Nachdruck auf eine rauchfreie Umgebung zu bestehen: „Schwangere haben Anspruch darauf, dass niemand in ihrer Nähe raucht. Sie sollten unmissverständlich unter Verweis auf ihren Bauch fordern, dass sich niemand mit brennender Zigarette oder Zigarre in ihrer Nähe aufhält.

Eine Schwangerschaft sollte außerdem ein guter Grund für alle Familienmitglieder sein, mit dem Rauchen aufzuhören oder es zu reduzieren“.

 

 

Schwere Folgen fürs spätere Leben

Gefahren drohen nämlich auch nach der Geburt. So berichten die Autorinnen Dr. Annette Bornhäuser und Dr. Martina Pötschke-Langer vom DKFZ in einer - in Zusammenarbeit mit der Stiftung Kindergesundheit entstandenen - Dokumentation: „In Deutschland treten jährlich 500 bis 600 Todesfälle durch den Plötzlichen Säuglingstod SIDS auf. Bis zur Hälfte aller SIDS-Fälle werden dem Passivrauchen zugeschrieben.

Sowohl das Rauchen während der Schwangerschaft als auch nach der Entbindung erhöht das Risiko deutlich. Bei einem täglichen Konsum der werdenden Mutter von mehr als 10 Zigaretten erhöht sich das Risiko für SIDS auf das Siebenfache. Insgesamt ist das Risiko von SIDS bei elterlichem Tabakkonsum um das Zwei bis Vierfache höher als in rauchfreien Haushalten“.

 

Auch für die spätere Entstehung von Übergewicht und Fettsucht bei Kindern ist das Passivrauchen im Mutterleib ein wichtiger Risikofaktor. Professor Koletzko: „Bei einer Erhebung bei 6.483 bayerischen Erstklässlern unter der Federführung von Professor Dr. Rüdiger von Kries fand unsere Arbeitsgruppe heraus: Wenn die werdende Mutter mehr als zehn Zigaretten raucht, verdoppelt sich das Risiko ihres Babys, bereits bei der Einschulung übergewichtig zu sein.“

Intelligenzleistung und Lernfähigkeit werden ebenfalls nachhaltig gestört: Eine britische Langzeitstudie ergab, dass Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft geraucht hatten, bei allen Nachuntersuchungen im Alter von sieben, elf und 16 Jahren beim Rechnen, Lesen und Sprechen im Vergleich zu ihren Altersgenossen zurück waren. Sogar nach 23 Jahren zeigte sich noch ein enger Zusammenhang zwischen der Zahl der von der Mutter konsumierten Zigaretten und den kognitiven Fähigkeiten der Kinder.

 

 

Rauchen vor der Tür nützt nur wenig

Selbst wenn verantwortungsbewußte Eltern zum Rauchen auf den Balkon oder vor die Tür gehen, beugen sie damit noch nicht allen Gefahren des Passivrauchens vor. Der Nikotingehalt im Körper ihrer Kinder liegt dank dieser Maßnahme zwar achtmal niedriger als bei Rauchen in der Wohnung, aber immer noch bis zu siebenmal höher als der von Kindern von Nichtrauchern. Das ergaben Messungen australischer Forscher. Sie stellten fest: Auch „Outdoor“-Raucher schleppen an den Haaren oder in der Kleidung genug Nikotinpartikel in die Wohnung, die dort im Staub, auf Teppichen, Spielzeug oder Bettzeug noch monatelang haften können.

 

Kinder, die zum Mitrauchen gezwungen sind, schlafen schlechter und haben häufiger Bauchweh, Schwindel, Kopfschmerzen, Husten und Konzentrationsstörungen. Sie sind häufiger krank, neigen zu Allergien, müssen öfter ins Krankenhaus und leiden häufiger unter Bronchitis und Lungenentzündung. Dreijährige, die mitrauchen müssen, erkranken bis zu dreimal so häufig an einer Mittelohrentzündung als Kinder in rauchfreien Wohnungen. Auch Hirnhautentzündungen kommen bei passivrauchenden

Kindern öfter vor. Der Rauch elterlicher Zigaretten kann sogar den Zähnen der Kinder schaden: Sie müssen häufiger wegen Karies behandelt werden.

 

Die Botschaft der Stiftung Kindergesundheit ist unmissverständlich: „Wer Kinder liebt, sollte ihnen diese verheerenden Folgen des Passivrauchens ersparen. Die persönliche Freiheit von uns Erwachsenen hat dort ihre Grenzen, wo Leben und Gesundheit eines Kindes beeinträchtigt werden können.“