Februar 2016

Wie Impfen alle Kinder schützt

Die Stiftung Kindergesundheit informiert über Impferfolge und Herdenimmunität

Herzverpflanzung, Penicillin oder Kernspintomographie in allen Ehren. Doch auch die spektakulärsten Erfolge der Medizin werden von einer völlig unspektakulären Maßnahme in den Schatten gestellt, die sich tagtäglich in den Praxen von Kinder- und Jugendärzten ereignet: Die Impfung von Babys, Kindern und Jugendlichen rettet das Leben von weltweit mehr als drei Millionen Menschen jährlich und schützt weitere Millionen vor Krankheit und lebenslanger Behinderung.

 

Doch gerade diese Erfolge von wirksamen Impfprogrammen haben dazu geführt, dass die meisten Bürger in Deutschland und Europa nie die verheerenden Folgen von Krankheiten erlebt haben, die durch Impfungen vermeidbar sind. Manche von ihnen stellen deshalb sogar die Notwendigkeit von Impfungen in Frage. Aus diesem Grund hat die Stiftung Kindergesundheit Fakten und Informationen über einige der heute empfohlenen Impfungen in einer aktuellen Stellungnahme zusammengestellt.

 

"Keine andere Maßnahme der Medizin hat bisher mehr Leben gerettet als Impfungen", sagt Professor Dr. med. Johannes Liese, Infektionsspezialist der Universitätskinderklinik Würzburg,  Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) und Kuratoriumsmitglied der Stiftung Kindergesundheit. Wie wirkungsvoll Impfungen die Gesundheit von Kindern und Erwachsenen schützen, lässt sich mit eindrucksvollen Zahlen illustrieren. Dazu einige Beispiele:

  • Früher starben jährlich weltweit fünf Millionen Menschen an Pocken. Dank einer konsequenten Impfpflicht in vielen Ländern konnte die Krankheit 1980 für ausgerottet erklärt werden. Heute sind die Pocken fast vergessen.
  • 1997 waren in der europäischen Region der WHO noch 215.767 Masernfälle gemeldet. Auf etwa  1000 Erkrankte kam jeweils ein Kind mit schwerer Gehirnentzündung oder ein Todesfall. Bis 2010 ging die Zahl der gemeldeten Fälle um über 96 Prozent auf 7.499 Fälle zurück – dank Impfungen. Wenn die Impfraten hoch genug sind, lassen sich auch die Masern komplett eliminieren.
  • Die Zahl der gemeldeten Röteln-Fälle verringerte sich zwischen 1999 und 2009 um 98,5 Prozent von 804.567 auf 11.623. Auch die gefürchtete vorgeburtliche Schädigung des Kindes im Mutterleib infolge einer Infektion der Schwangeren mit dem Rötelnvirus (Rötelnembryofetopathie) ist heute mit etwa einer gemeldeten Erkrankung/Jahr dank der Impfung extrem selten geworden.
  • Die WHO erklärte ihre europäische Region 2002 für frei von Kinderlähmung. Durch die globale Bekämpfung von Polio konnten bisher fünf Millionen Menschen davor bewahrt werden, an einer schweren Lähmung zu erkranken.  
  • Seit 2004 empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut die Impfung gegen Windpocken für alle Kinder im Alter von elf bis 14 Monaten, zunächst mit einer Impfung, seit 2009 mit zwei Impfungen im Abstand von mindestens vier Wochen. Ein Vergleich der Daten aus der Zeit vor der Impfempfehlung mit den Daten aus dem Jahr 2012 ergab einen Rückgang um 80 Prozent der Erkrankungen, Komplikationen und Krankenhausbehandlungen mit Windpocken. Der größte Rückgang war bei Kindern zwischen einem und vier Jahren zu verzeichnen. Das war die Zielgruppe für die Impfung und auch die Altersgruppe, die bis zur Impfempfehlung am stärksten von Windpockenerkrankungen betroffen war.

 

Schutz für Lunge und Mittelohr
Ein weiteres Beispiel für die Schutzwirkung von Impfungen bietet die 2006 von der STIKO erstmalig für alle Säuglinge empfohlene Pneumokokken-Impfung. Die Zahl der Lungenentzündungen reduzierte sich bis zum Jahr 2013 um 55,5 Prozent. Hochgerechnet erkrankten von 2007 bis 2014 über 800.000 weniger Kinder im Alter von 0 bis 10 Jahren an einer Lungenentzündung. Die Zahl der besonders gefährlichen so genannten invasiven Pneumokokken-Erkrankungen, z. B. Gehirnhautentzündung und Blutvergiftung ging um 81 Prozent zurück.



Pneumokokken sind häufig auch an der Entstehung von Mittelohrentzündungen beteiligt. Die Häufigkeit dieser sehr schmerzhaften Erkrankungen konnte seit Einführung der Pneumokokken-Impfung um etwa ein Drittel verringert werden. Wie Wissenschaftler auf dem letzten Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin DGKJ in München berichteten, erkrankten von 2007 bis 2014 hochgerechnet über 5 Millionen Kinder weniger an eitriger und nichteitriger Mittelohrentzündung in Deutschland.



Die STIKO empfiehlt in ihren regelmäßig aktualisierten, offiziellen Impfempfehlungen, alle Kinder gegen die 13 ansteckenden Kinderkrankheiten Diphtherie, Keuchhusten, Wundstarrkrampf (Tetanus), HIB, Kinderlähmung (Poliomyelitis), Hepatitis B, Pneumokokken, Rotaviren, Meningokokken C, Masern, Mumps, Röteln und Windpocken zu impfen. Außerdem sollten Mädchen und junge Frauen im Alter von 9 bis 14 Jahren die HPV-Impfung gegen humane Papillomaviren erhalten, die häufigsten Auslöser für Gebärmutterhalskrebs und Genitalwarzen, von denen auch Männer betroffen sein können. Versäumte Impfungen sollten bis zum 18. Geburtstag nachgeholt werden. "Das Zervixkarzinom ist weltweit die vierthäufigste tödliche Krebserkrankung bei Frauen mit jährlich tausenden Todesfällen in Europa trotz entsprechender Screeningprogramme zur Früherkennung der Erkrankung" erläutert Professor Liese. Bei Impfung im Alter von 9 bis 14 Jahren sind bereits zwei Impfungen  für einen langdauernden Schutz ausreichend.


Schutz vor Epidemien
Impfungen verhindern eine Krankheit nicht nur bei dem einzelnen geimpften Kind oder Erwachsenen: Sie können auch Kinder schützen, die z. B. aus medizinischen Gründen bei schwerer Einschränkung der Immunität nicht geimpft werden konnten oder deren Eltern aus Nachlässigkeit oder bewusst auf eine Impfung verzichtet haben. Durch Impfungen wird nämlich auch die Verbreitung von Infektionskrankheiten verringert: Wenn in einem bestimmten Bevölkerungsausschnitt genügend Personen geimpft sind, können sich die Krankheiten nicht verbreiten. Je mehr Menschen geimpft sind, desto mehr Leben werden gerettet.



"Menschen, die sich selbst oder ihr Kind aus welchem Grund auch immer nicht gegen eine impfpräventable Krankheit impfen lassen, sollten wissen, dass sie damit andere Menschen gefährden können" betont Professor Johannes Liese mit großem Nachdruck: "Auch wenn das Risiko für viele impfpräventable Infektionen heute (dank der Impfung) gering ist, ist eine hohe Durchimpfungsrate doch wichtig, damit das auch so bleibt!".


Der sogenannte Herdenschutz bedeutet: Wenn viele Menschen durch eine Impfung immun geworden sind und das krankheitserregende Virus oder Bakterium nicht mehr übertragen wird, kann sich der Erreger in der Bevölkerung nicht so leicht ausbreiten. Es kommt zu keiner Epidemie und die übrigen, z. B. aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpften Menschen haben ein geringeres Risiko angesteckt zu werden.



Dazu ein Beispiel: Um die Ausbreitung der Masern effektiv zu verhindern, müssten 95 Prozent der Bevölkerung dagegen geschützt sein. Allerdings führt eine einmalige Masernimpfung bei etwa fünf von 100 Kindern nicht zur schützenden Immunität. Aus diesem Grund muss die Impfung wiederholt werden. Wenn die erste Impfung erfolgreich war, hat man von der zweiten Impfung keinen Nachteil. Wenn sie es jedoch nicht war, hat man eine zweite Chance, genügend Antikörper zu bilden.



So bleibt die Gruppe der ungeschützten Kinder so klein, dass sich das Virus in der Bevölkerung nicht weiter verbreitet. Auf lange Sicht kann es durch einen stabilen und hohen Herdenschutz sogar gelingen, den Erreger auszurotten, wie das bei den Pocken der Fall war.

Wenn Menschen dagegen die Impfungen vernachlässigen oder ablehnen, bricht ab einer gewissen Anzahl von Ungeimpften der Herdenschutz zusammen und besonders noch nicht geimpfte Babys, Kleinkinder und Menschen mit Immunproblemen haben eine erhöhtes Risiko für die Erkrankung und deren Komplikationen.


"Wenn ein Impfstoff gegen eine Infektionskrankheit eingeführt wird und die Zahl der geimpften Kinder steigt, geht die Zahl der von dieser Krankheit betroffenen Personen i.d.R. drastisch zurück", berichtet Professor Johannes Liese. "Sinkt dagegen die Rate der geimpften Personen, können bereits besiegt geglaubte Krankheiten, wie Kinderlähmung, Masern oder Diphtherie wieder ausbrechen und sich ausbreiten".


Ein Blick zurück in die Historie
Was Impfungen bewirken können, demonstriert auch ein Rückblick in die Geschichte auf beeindruckende Weise. Zu Beginn des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 gab es im katholischen und bürgerlich-liberalen Frankreich noch keine Impfpflicht, schließlich hatte Papst Leo XII im Jahre 1824 die Impfung noch als Gotteslästerung gebrandmarkt und verboten. Das protestantische Königreich Preußen besaß dagegen in Berlin bereits seit 1802 eine staatliche Pockenimpfanstalt und für die deutschen Soldaten galt Impfzwang beim Eintritt ins Heer.



Die Schlagkraft der Deutschen wurde daher durch eine in Frankreich grassierende Pockenepidemie kaum beeinträchtigt. Das Heer der Franzosen dagegen, dessen Soldaten nicht „vakziniert“ waren, erlitt dramatische Verluste. Wie der Heidelberger Medizinhistoriker Professor Dr. Wolfgang U. Eckart berichtet, kam es auf deutscher Seite zwar auch zur Pockenerkrankung von ca. 5.000 Soldaten, jedoch nur zu 278 Todesfällen. Auf französischer Seite waren die Verhältnisse dagegen katastrophal: Dort starben 23.500 Soldaten an Pocken.



Die Impfpflicht für die  Erstimpfung gegen Pocken wurde in der Bundesrepublik mit dem Ende der Pockenepidemie vor 40 Jahren, am 12. Februar 1976 vom Deutschen Bundestag aufgehoben. Die DDR folgte 1980.

 


Zurück zur Impfpflicht? Besser eine gute Impfberatung durch den Kinderarzt!
Angesichts der Zunahme von Maserninfektionen im vergangenen Jahr wird die Einführung einer Impfpflicht auch aktuell diskutiert. Die Stiftung Kindergesundheit erinnert in diesem Zusammenhang an eine Forderung des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, die vor zehn Jahren auch vom Deutschen Ärztetag übernommen wurde: Danach sollte die Aufnahme von Kindern in Krippen, Kindergärten und Schulen von einem kompletten Impfschutz abhängig gemacht werden. "Wenn ein ungeimpftes Kind eine Gemeinschaftseinrichtung besucht, besteht einerseits für dieses Kind selbst das Risiko, sich dort mit einer Krankheit anzustecken, andererseits besteht die Gefahr, dass dieses Kind andere ungeschützte Kinder ansteckt", so Professor Liese über die Begründung der nach wie vor aktuellen Forderung.



Darüber hinaus sind insbesondere Kinder gefährdet, die wegen einer Kontraindikation (z. B. bei einem angeborenen Immundefekt oder unter immununterdrückender Therapie wegen einer Krebserkrankung) nicht geimpft werden können und für ihren Schutz auf den oben erklärten Herdenschutz angewiesen sind. Gefährdet sind aber auch Babys und kleine Kinder im ersten und zweiten Lebensjahr, die wegen ihres Alters noch nicht vollständig geimpft werden konnten. Viele Kinder werden bereits in diesem Alter in Krippen und Kindertagesstätten betreut. Deshalb besteht bei ihnen z. B. bei Masern ein erhöhtes Risiko eines schweren, möglicherweise sogar tödlichen Krankheitsverlaufs oder eines bleibenden Gesundheitsschadens.



Einen Leitfaden zur Gesundheitsförderung in der Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahren bietet das "Curriculum Kinder gesund betreut" der Stiftung Kindergesundheit, www.kinder-gesund-betreut.de.

Anstelle der in Deutschland schwierig durchzusetzenden und zu kontrollierenden Impfpflicht hält Professor Liese eine verbindliche und gute Aufklärung der Eltern bei Eintritt der Kinder in Krippe, Kindergarten oder Schule für am wichtigsten. Es soll nicht vergessen werden, das bereits  heute für viele Erkrankungen hohe Durchimpfungsraten in Deutschland erzielt wurden und damit eine große Reduktion an Erkrankungszahlen! Prof. Liese betont: "Wichtig ist im Übrigen ja nicht nur der Schutz der Kinder, sondern auch der Erwachsene, deren notwendige Auffrischimpfungen häufig einfach übersehen und vergessen werden. Die meisten Fälle der früher klassischen Kinderkrankheiten, wie Maser oder Keuchhusten treten heute im Erwachsenenalter auf."



"Eltern, die ihrer elterlichen Sorge zum Impfen ihrer Kinder und von sich selbst nicht nachkommen, gefährden nicht nur die Gesundheit des eigenen Kindes, sondern auch die anderer Menschen. Durch die Impfung ihres Kindes, sowie von sich selbst übernehmen sie auch Verantwortung für die Gesellschaft und tragen dazu bei, den gesundheitlichen Schutz der Bevölkerung zu verbessern".

 

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